Der Bahnhof für Weiterreisende

Format
Essay
Lesedauer
4 Minuten
Veröffentlicht am
4. Oktober 2021 im Print

Gian Andrea Arpagaus, Alumnus in Philosophy, Politics and Economics
Illustration: Julia Hartmayer

Beinahe alle Student*innen kennen die Bürde, bei der Suche städtischer Zimmer einer deutlich spürbaren Sachzwanglogik von Angebot und Nachfrage ausgesetzt zu sein. Und hat Smith`s unsichtbare Hand ihr Allokationswunder endlich erwirkt, so werden Unterhaltungen über Wohnlage, Mietpreiszahlungen pro Quadratmeter und (un-)befristete Verträge zu bleibenden Konstanten der neu erfahrenen Konversationskultur. Ein Mietvertrag  und die dazugehörigen Gepflogenheiten des Mieter*innen-Seins beschränken sich aber längst nicht mehr nur auf zugezogene Stadtbewohner*innen. Auch in der Agglomerationen ist die Verfügbarkeit von Raum längst angekommen, wenn auch eher in Ladenöffnungszeiten und ÖV-Verbindungen artikuliert.

Erfahrungen der Knappheit beschränken sich nicht nur auf die Situation junger Menschen in Ausbildung, auch ist es nicht nur eine Erschwernis, die den öffentlichen Markt für Wohnungen betrifft: die (Nach-)Frage nach Raum rückt als zentrales Spannungsverhältnis in den Kern gesellschaftlichen Miteinanders vor. Mittlerweile thematisieren sogar bundesweite Initiativen wie die Wohnungsinitiative (2020) oder kantonale Anliegen wie die die Bodeninitiative (2016) in Basel-Stadt die Raumfrage. Damit wird nach der ökonomischen und sozialen Tragfähigkeit dieser Marktpreisspirale für jene Menschen gefragt, welche mehr als 30% von ihrem Nettoeinkommen für ihre Raumlösung aufwenden müssen. Statistiken vom Bundesamt für Statistik lassen sich entnehmen, dass die Anzahl dieser Personen stetig zunimmt.

Möchte man gedanklich nun die Nutzungsfunktionen von Raum erweitern und die Kategorie des rein privaten Gebrauchs verlassen, so stellt man fest: Nicht nur Mieter*innen oder die noch nicht besitzenden – hypothekarkreditbezahlenden – Grundeigentümer*innen, sondern auch kleine und mittlere Unternehmen bis hin zu vollständig öffentlichen Trägern sind einer steigenden Verwertungslogik ausgesetzt. Gerade die sozialen und kulturellen Einrichtungen, welche das Leben in Städten nebst der baulichen Infrastruktur erst attraktiv machen – beispielsweise Bühnen, Gemeinschaftszentren, Gallerien, Clubs und Freiräume – werden zunehmend in  unattraktivere Lagen verdrängt. Diese Marktverzerrung bei endlichem Raum zugunsten höherer Zahlungsbereitschaft heisst, nicht nur als Polemik und gerngenutztes Schlagwort der Politik, Gentrifizierung. Worauf hier etwas überspitzt hinzudeuten versucht wird, sind die leerstehenden und funktional eingeschränkten Filialen und Büroflächen einst belebter Innenstädte, welche sich nun zusehends der arbeitszeitlich begrenzten Beherbergung woanders wohnender Lohnarbeiter verschrieben haben. Die nach Feierabend leblos vorgefundene Immobilienlandschaft ist die Konsequenz eines städtischen Eigentümersystems, welches, sofern keine profitsteigernden Erwartungen vorliegen, den öffentlichen Raum mit der Aufenthaltsqualität einer Verkehrskreuzung versehen würde.

Universität Luzern zu tun? Mein dilettantischer Versuch zur Allegorie möchte auf den umgangssprachlichen und immer gefestigteren Begriff der Universität Luzern als „Pendler*innen-Uni“ hindeuten. Ich möchte damit nicht das Stigmatisierungspotenzial der Universität Luzern befeuern, sondern lediglich den Versuch unternehmen, darauf hinzuweisen, dass die Raumfrage schon längst auch das alltägliche (arbeits-)Leben der Studierenden betrifft. Es wird nicht etwa erwartet, das Gastrecht an der Uni zu erweitern (obwohl sich dieses Angebot zu Öffnungszeiten im Untergeschoss bereits zu materialisieren begonnen hat). Auch wird nicht gewollt, dem Facility- Management das Aufschliessen der sich im Untergeschoss befindenden Luftschutzbunkerbetten der ehemaligen Post anzutragen. Sogar die rigoros beibehaltene monochrom-funktionalistische Architektursprache des Gebäudes möchte ich hier nicht als Hauptpunkt für die Absage an ein ein letztes bisschen Aufenthaltsqualität heranziehen, dafür ist es eh zu spät.

Die zugrundeliegende Problematik der gleisnahen „Pendler*innen-Uni“ – und damit komme ich zur Problembenennung – ist weder das Universitätsgebäude noch deren protegierende Direktion, sondern der hinreichende Umstand, das die gesellschaftlichen Verhältnisse Raum konsequent als Ware betrachten. Damit verkennen sie die Raumaneignung als Teil einer demokratischen Mitbestimmung einer gemeinsamen Umwelt.

Doch zurück zu unserer Realität. Einen praktischen Ansatz zur Aufarbeitung des Imageschadens würde sich bereits im universitätseigenen Leitbild, publiziert auf der Website, finden. Die Universität folge dem Leitbild einer „persönlichen Universität“, welche mit ihrer Arbeit „(…) zur Entwicklung der Gesellschaft als Ganzer und zur Verbesserung der Lebensqualität“ beizutragen beabsichtigt. Wird nun versucht, Raum als Voraussetzung zur Philosophie einer persönlichen Universität zu verstehen, und wird auch angenommen, eine Verbesserung der Lebensqualität für die Bevölkerung (steht auch im Leitfaden) zu erreichen, dann sollte, wenn die Gesellschaft als Ganzes gemeint ist, auch jenen Qualitäten Raum zur Entwicklung gegeben werden, die sich zwischen den Vorlesungen und zwischen den Arbeitszeiten ereignen.

Die Möglichkeit, in gleichberechtigter Zusammenarbeit einen öffentlich zugänglichen Ort entstehen zu lassen, der die Mitsprache von Student*innen zur Gestaltung des Raumes zulässt, würde zur Projektionsfläche einer zukünftigen Generation engagierter und gesellschaftszugewandter Individuen werden. Sie würde zu etwas heranwachsen, das Inklusion nicht nur lehrt, sondern auch lebt. Unabhängig von Öffnungszeiten und Kirche (wie im Haus Leo) könnte ein Ort entstehen – und er müsste nicht mal im selben Gebäude Platz finden – welcher unbürokratisch und zur freien Verfügung den Student*innen überlassen wird. Projekte, die als Voraussetzung auf einen solchen Raum angewiesen sind, würden sich als basisdemokratisch organisiertes Labor für progressive Ideen verstehen, rund um die Kultivierung einer studentischen Identität in Luzern.

Dieser Raum, so die Überzeugung, wird der Universtität dabei helfen, sich von der stigmatisierten Vorstellung einer „Pendler*innen- Uni“ zu distanzieren und ihren Persönlichkeitsbegriff vom rein Akademischen auf das Soziale und Kulturelle auszuweiten. Es braucht mehr Platz! Was es dazu braucht, ist eine engagierte und partizipative Studierendenschaft, und die Bereitschaft seitens der Universität, sich für Veränderungen offenzuhalten. Die Covid-19-Pandemie hat mittlerweile eindringlich aufgezeigt, dass Raum für Begegnung mit sich selbst und mit Anderen von essenzieller Bedeutung ist. Luzern ohne zukünftigen Raum für ausserbetriebliche Begegnungen bleibt ein Bahnhof für Weiterreisende.

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