Lernen mit Musik in den Ohren: Fluch oder Segen?

Format
Bericht
Lesedauer
4 Minuten
Veröffentlicht am
29. April 2021

Die Lernphase steht kurz bevor. Die ständigen Begleiter vieler Studierenden sind dann die Kopfhörer. Doch verhilft der Begleiter im Ohr zu mehr Konzentration oder ist er doch mehr Ablenkung als gedacht? 

Selina Meier, Gesellschafts- und Kommunikationswissenschaften

Viele Menschen denken, dass mit Musik in den Ohren produktiver gearbeitet werden kann. Denn Musik motiviert, verbessert unseren Fokus und macht bessere Stimmung. Die Frage ist, ob Lernen und Arbeiten gleichgesetzt werden können. 

Sprung in die Vergangenheit

Nicht nur beim Lernen, auch im Alltag sind Kopfhörer nicht mehr wegzudenken. Bereits mit dem Aufkommen des Walkmans wurde darüber berichtet, dass mit diesem Gerät die Wahrnehmung der Umgebung beeinflussbar wurde. Im Buch des japanischen Sozialwissenschaftlers Shuhei Hosokawa mit dem Titel «Der Walkman-Effekt» aus dem Jahr 1987 wird über die Anfänge des Walkmans berichtet. 

Hosokawa schreibt, dass vielen Menschen der Walkman zu Beginn nicht besonders geheuer war. Dies schlussfolgert er daraus, dass dieser etwas komplett Neues ermöglichte, nämlich dass jede Walkman-Hörerin und jeder Walkman-Hörer etwas hörte, das nur eine Person aufs Mal akustisch wahrnehmen konnte: es war eine Art Geheimnis. So entstand eine Diskrepanz von Geheimnistragenden und Geheimnisnichtkennenden, wie dies Hosokawa beschreibt. Hier spielt vor allem die Neugier eine grosse Rolle. Es entsteht ein Überlegenheitsgefühl durch den Besitz des Walkmans. Hosokawa schätzt es als flüchtige Bedürfnisbefriedigung ein. 

Der Walkman wurde zu Beginn vor allem zum Musikhören während dem Laufen oder Gehen verwendet, wie dies der Name schon verrät. Mit einem Walkman durch die Stadt zu laufen, führte so zu einer differenzierteren Fortbewegung als ohne. Die räumliche Wahrnehmung wird zudem anders erfasst, schliesslich bewegt man sich im Rhythmus der eigenen Musik. Hier stellen sich nun die Fragen, inwiefern dies auf die Beziehung «hören» und «lernen» übertragen werden kann und, ob die Musik wirklich als gleichwertige Beschäftigung angesehen werden kann?

Welche Hirnregionen sind beteiligt?

Wenn wir Musik hören, wird unser Gehirn gefordert. Das Problem ist jedoch, dass die Musik viel Information auf einmal bietet. Dies geht von der Tonhöhe über die  Melodie bis hin zum Text. 

Wenn Musik gehört wird, dann wird diese zuerst im Hirnstamm verarbeitet. Zu diesem Zeitpunkt ist die Musik noch nicht in das Bewusstsein eingedrungen. Dieser Schritt geschieht erst, wenn die Reize das Hörzentrum, den Hörkortex erreichen. Ab diesem Moment werden Instrumente oder Stimmen unterschieden. Je nach Genre gibt es zudem Unterschiede bezüglich den Bereichen des Hirns, die aktiv sind. Bei einer Studie aus dem Jahr 2013 wurde herausgefunden, dass besonders komplexe Musikstücke höhere Aktivität im rechten Schläfenlappen auslösten. Zudem verschob sich die Aktivität von der linken überwiegend in die rechte Hirnhälfte, wenn Lieder mit Text gehört wurden.

Ist Musik nun eine Hilfe oder nicht?

Wissenschaftlich ist durchaus erwiesen, dass Musik die Leistung steigern kann, dies vor allem bei sich wiederholenden Aufgaben, beispielsweise bei Arbeit an einem Fliessband. Lernen und Arbeiten können aber nicht direkt verglichen werden. Musik kann andere Geräusche übertönen oder anstelle vollkommener Stille einen angenehmeren Hintergrund schaffen. Zudem gibt es Studien, die zum Schluss kommen, dass vor allem während dem Hören von klassischer Musik gewisse Aufgaben besser gelöst werden.

Andere Studien besagen, dass Lieder mit Lyrics zum Lernen, beispielsweise von Vokabeln, durchaus positive Auswirkungen haben können. Wieder andere empfehlen reine Instrumentalmusik. Über die Auswirkung von Klängen auf die Konzentration sind sich die Forschenden also uneinig. Klar ist, dass Musik einen Einfluss auf unsere Gefühlswelt haben kann.

In diversen Studien war das Ergebnis aber klar: Wie zuvor schon erwähnt, haben klassische, akustische Ambient-Musik, Nordic Ritual Folk sowie Umgebungsgeräusche aus der Natur (Regen, Meer, Wald, etc.) eine positive Auswirkung auf den Lerneffekt, wohingegen Musik aus den Genres Rap, Techno, Heavy Metal, sowie Lieder mit Texten in der eigenen Muttersprache nicht zu empfehlen sind. Ausserdem kommt es beim Musikhören während dem Lernen vor allem auf das richtige Tempo an – zu schnell wirkt ablenkend, zu langsam einschläfernd. Weiter spielen die individuellen Vorlieben, der Lerntyp sowie der Kontext ein grosse Rolle.

So gibt es auf die Frage, Musik ja oder nein, keine definitive und allgemeingültige Antwort. Ob es hilfreich ist, beim Lernen Musik zu hören, soll also jeder Mensch  für sich entscheiden. Trotz der Individualität gibt es aber einige Punkte, die generell zu beachten sind. Die besten Erfolge werden erzielt, wenn die Musik:

  • keinen Text hat
  • die Gefühlswelt aussen vor lässt
  • das Wohlfühlgefühl stärkt
  • mit einer Geschwindigkeit ähnlich wie dem Herzrhythmus übereinstimmt (56 bis 64 beats per minute)
  • schon in einer Playlist geplant ist, um unnötige Ablenkung zu vermeiden


Die Frage, ob Spaziergänge mit Musik und Lernen mit Musik in Verbindung gebracht werden können, lässt sich bezüglich dem Punkt des Geheimnisses sicherlich mit ja beantworten. Denn wie die Walkmanhörenden jeweils Musik hörten, die nur sie wahrnehmen konnten, trägt jede lernende Person ihren eigenen Soundtrack im Ohr, der gerade in dem Moment das Lernen unterstützt. Schliesslich hat sich herausgestellt, dass es auf die Frage, ob ein besserer Lerneffekt mit Musik im Ohr erzielt werden kann, keine universelle Antwort gibt. So tragen wir alle unser persönliches Geheimrezept in uns. Wie am besten gelernt werden kann, müssen wir alle für uns selbst entscheiden und herausfinden.

Wir von Lumos wünschen euch allen eine gute Lernphase – sei das mit oder ohne Musik in den Ohren.

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