Not all heroes wear wigs – but some do

Format
Portrait
Lesedauer
4 Minuten
Veröffentlicht am
6. Oktober 2020

Wenn Selbstdarstellung und Ausdruck auf Aktivismus und Kunst treffen: Im Gespräch mit Mona Gamie; einer schweizer Dragqueen.

Shey Caroli, Kulturwissenschaften

Die Queer-Community der Schweiz wird seit einiger Zeit durch aktivistische Arbeit und politisches Engagement wieder lauter. Als queere Person, die häufig mit der eigenen Identität zu kämpfen hatte, empfinde ich diese Bewegung als inspirierend. Dank ihrer Existenz ist es mir möglich, Anschluss zu finden und meine Gefühle und Gedanken mit einer Community zu teilen, die mich versteht und akzeptiert.

Auch politisch tut sich in der Schweiz einiges, so wurde beispielsweise das Diskriminierungsgesetz im Februar erweitert und auch die Ehe für alle wird zunehmend diskutiert. Doch es gibt verschiedene Arten, Veränderungen herbeizuführen. Eine davon ist die Performance, wie sie auch in der Dragkultur angewendet wird. Aus diesem Grund stelle ich eine in der LGBTQ+ Community der Schweiz bekannte Dragqueen vor: Mona Gamie.

Mir gegenüber, in einem Café der Zürcher Altstadt, sitzt Tobi Urech. Er ist 26 Jahre alt, lebt in Zürich, studiert an der Universität Basel Genderstudies und Geschichte im Master und identifiziert sich als schwuler cis-Mann. Cis bedeutet, dass sich Tobi mit dem Geschlecht, das ihm bei der Geburt zugewiesen wurde, identifiziert. Er ist im Vorstand der Milchjugend, einem LGBTQ+ Verein der Deutschschweiz. Die Milchjugend organisiert Projekte und Workshops für queere Jugendliche, geht auf die Strasse mit der Jugendpride und schreibt das Milchbüechli, ein queeres Jugendmagazin. 

Lumos: «Wie würdest du jemandem, der nichts darüber weiss, Drag erklären?»Tobi: «Es ist eine Kunstform, bei der man mit Geschlechtern spielt und diese auf die Schippe nimmt. Frauen werden zu Männern, Männer zu Frauen oder zu gar keinem Geschlecht. Man hält der Gesellschaft einen Spiegel hin und kann so der Queer-Community ein Vorbild sein.»

Das erste Mal kam Tobi mit Drag in Berührung, als er Olivia Jones – eine Dragqueen aus Hamburg – auf RTL sah und seinen Eltern die Frage stellte, ob dies nun ein Mann oder eine Frau sei. Er hatte schon immer ein Faible für Rollenspiele und Verkleidungen und nach seinem Coming Out wurde ihm bewusst, dass er es sich vorstellen könnte, selbst zu performen: «Ich dachte nicht, dass alles so ablaufen würde, wie es abgelaufen ist. Die Erfüllung dieses Traumes kam unerwartet.» sagt er lachend, während uns der bestellte Kaffee serviert wird. 

Auf die Frage, ob es eine Drag Erfahrung gebe, die ihm besonders viel bedeutet, nennt er seinen ersten Auftritt beim Salon Morpheus, einer Zürcher Cabaret Show. «Der erste Auftritt war für mich magisch.» erzählt Tobi und beschreibt dabei seine Faszination für den Glamour der 20er Jahre mit dem roten Samtvorhang, den kitschigen Lämpchen und der Theateratmosphäre. 

It’s Showtime!

Bei der Kreation seiner Drag Persona waren vor allem starke Frauen, die sich in einer patriarchalisch geprägten Welt durchsetzen, ein grosses Vorbild. Bei der Wahl seines Drag-Namens war er sich sicher, dass es etwas Witziges sein musste, aber mit einem schönen Vornamen. Mona unterscheidet sich insofern von Tobi, als dass sie mutiger und frecher ist, jedoch auch eine sehr charmante Seite besitzt. Sie singt und fühlt sich dabei wohl. Im Cabaret-Umfeld ist sie im positiven wie im negativen Sinne eine Diva. 

«Drag ist keine Herausforderung, sondern eine Bereicherung für mein Leben, da mir diese Kunstform neue Perspektiven eröffnet.» Gerade während der Corona-Zeit habe es Tobi gefehlt, als Mona im Rampenlicht zu stehen und anderen Freude zu bereiten.

Improvisieren gehört beim Drag grundsätzlich dazu. Wichtig sei es aber, aus Situationen heraus zu lernen und nicht das Selbstbewusstsein ankratzen zu lassen, wenn eine Show nicht planmässig verläuft. «Mona hatte einen grossen Einfluss auf mich. Durch sie gewann ich Auftritts- und Vortragskompetenzen – was auch für die Uni ganz nützlich sein kann», fügt er lachend hinzu. 

The Art of Drag

Für viele ist der Unterschied zwischen Drag und Transidentität unklar. Drag ist ein wichtiger Bestandteil der LGBTQ+ Community, weil es um die Aufweichung, Verdrehung und Übertreibung der Geschlechterrollen geht. Bei der Transidentität jedoch geht es nicht um eine Performance oder Kunstform, sondern darum, dass man sich mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht nicht identifiziert. Tobi ist zuversichtlich, dass durch zunehmende Aufklärung der Unterschied zwischen Transidendität und Dragperformance für mehr Menschen klar wird.

Die Schweizer Dragszene ist laut Tobi vielfältig und bunt und hat sich in den letzten 10 Jahren stark entwickelt. Heute ist das Interesse daran grösser als früher und mehr Menschen tasten sich heran. «Jede Queen hat ihre kleine Nische und eine eigene Persönlichkeit. Es gibt keinen Zickenkrieg, wie man es aus amerikanischen Fernseh-Shows kennt, sondern ein gegenseitiges Wohlwollen, gegenseitige Unterstützung. Wir sind uns bewusst, dass wir derselben Community angehören.» 

Auch die Darstellung von Drag in den sozialen Medien ist mehrheitlich positiv, da viele Drag-Künstler*innen wissen, was sie mitteilen wollen und somit überlegt auftreten. Mona als Kunstfigur trifft im Gegensatz zu Tobi auf wenig Diskriminierung in der Schweiz, da Tobi durch seine Identität als schwuler Mann im Alltag Diskriminierung erlebt, während Mona meist nur im Rahmen einer geschützten Show auf der Bühne zum Vorschein tritt.

Drag mag für ungeübte Zuschauer*innen mit eigenen Aspirationen einschüchternd wirken. Diese Hemmschwelle sei aber nicht notwendig: «Zu Beginn hat man vielleicht Hemmungen und traut sich nicht oder ist nicht zufrieden, doch es ist noch keine Meisterin vom Himmel gefallen! Beim ersten Mal war auch ich mehr Trümmer-Tunte als Drag-Diva.»

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