Mimimi… #BTHVN2020

Bei aller Ehrerweisung; es ist nicht alles Gold, was glänzt.

Louis Fedier, Judaistik

2020 ist Beethoven-Jahr. Aus Anlass seines 250. Geburtstages verfällt die Welt der klassischen Musik in einen monotheistischen Fanatismus, der die Leistungen des grossen Komponisten gleich einem Evangelium verkündet und der ganzen Gesellschaft, ob interessiert oder nicht, unter die Nase reibt. Man möge mich bitte nicht falsch verstehen! Ludwig van Beethoven gebührt natürlich vollkommen zu Recht ein Ehrenplatz im ewigen Pantheon der Klassik, schliesslich brachte er die Form der Sinfonie zur Vollendung und hauchte dem Solokonzert neues Leben ein. Aus gutem Grund stehen einige seiner Werke – erwähnenswert wären hier insbesondere die Sinfonien 5 und 9 wie auch die Klaviersonate Für Elise – heute stellvertretend für das ganze Genre der klassischen Musik, wenn nicht gar für die ganze europäische Musiktradition. Der fast schon widerwärtig einprägsame Schlusssatz der neunten Sinfonie, die Beethoven infolge seines Hörverlusts übrigens nie selbst hörte, wurde in einer leicht veränderten Version sogar zur offiziellen Europa-Hymne.

Man kann es dennoch übertreiben mit der Beethoven-Manie. Dass die Neunte gerade in Zeiten einer Identitätskrise der EU immer öfter herbeigezogen wird, ist ja noch irgendwo nachvollziehbar. Dass aber gleich jede einigermassen spielfähige Musikformation einen Teil ihres Programms mit Beethoven zwangsauffüllen muss, ist vollkommen hanebüchen, schliesslich handelt es sich bei ihm auch sonst schon um einen der am meisten aufgeführten Komponisten überhaupt. Nochmals: es geht mir hier nicht um ein Beethoven-Bashing! Ehre, wem Ehre gebührt. Aber doch nicht so! Denn bei aller Ehrerweisung; es ist nicht alles Gold, was glänzt. Wenn man Sinfonik und Solokonzert nämlich mal beiseitelässt, offenbaren sich auch bemerkenswerte Leerstellen im Portfolio des Jahrhundertkomponisten. Wirklich gelungene Chor- oder Vokalwerke sind da äusserst dünn gesät. Ein Universalgenie der Musik war Beethoven somit schon mal nicht.

Ausserdem werden sowieso immer nur die gleichen oben genannten Werke gespielt, weil das Publikum enttäuscht, ja geradezu entrüstet wäre, wenn diese nicht erklingen würden. Statt also das Beethoven-Jahr konstruktiv zu nutzen, um auf weniger bekannte Werke hinzuweisen und dem Publikum mal etwas anderes als das ewiggleiche Mainstream-Gulasch aufzutischen, gehen die meisten Orchester den Weg des geringsten Widerstands und spielen die Sinfonien 5 oder 9, vielleicht auch mal ein Klavierkonzert. Das wars dann aber auch.

Und als wäre das noch nicht genug, versuchen auch noch die grossen Plattenfirmen und Verlage Profit aus dem völlig überzogenen Beethoven-Hype zu schlagen, indem sie alte Einspielungen in neuem Gewand präsentieren oder die gefühlt einmillionste Biografie veröffentlichen, auf die die Welt genauso wenig gewartet hat wie auf die Vervollständigung der unvollendeten 10. Sinfonie durch einen Algorithmus oder den zwanghaft hippen Hashtag #BTHVN2020.

Trotz alledem: alles Gute zum Geburtstag, lieber Ludwig!

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