Die tägliche D-osis

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Bericht
Lesedauer
3 Minuten
Veröffentlicht am
1. März 2021 im Print

Die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln gehört für viele Leute zum täglichen Menüplan. Verschiedene Studien weisen insbesondere einen Zusammenhang zwischen Vitamin D und dem Verlauf einer Erkrankung an Covid-19 auf. Vorsorglich Tabletten einzunehmen, wäre aber überstürzt.  

Hannah Göldi, Kulturwissenschaften
Illustration: Laura Kneisel, Kulturwissenschaften und Kendra Bätscher, Weltgesellschaft und Weltpolitik

Im Wohnort meiner Eltern schmückt seit einiger Zeit ein Plakat mit dem Slogan «Nochmal eine Firma gründen, warum nicht? Tut gut.» die Bahnhofsunterführung. Es handelt sich um Werbung für Vitamintabletten. Bei meinem letzten Besuch drückte mir meine Mutter als Abschiedsgeschenk noch eine Packung Vitamin-D-Supplemente in die Hand. «Anscheinend haben Leute mit hohen Vitamin-D-Spiegeln bei einer Ansteckung mit dem Coronavirus mildere Symptome», bekräftigte sie. Meinen letzten Bluttest habe ich vor einem Jahr gemacht, da schien alles in Ordnung zu sein. Doch die Versprechen für mehr Energie und milde Corona-Symptome tönen verlockend, sollte ich doch mal zur Tablette greifen?

Werbung für Vitamintabletten kursiert an vielen Orten. Zum Hype um stetige Selbstoptimierung gehört auch die optimale Versorgung des Körpers mit allen nötigen Nährstoffen. Grundsätzlich sind, der schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (SGE) zufolge, Vitamin- und Mineralstofftabletten nicht nötig. Eine ausgewogene Ernährung sei meistens ausreichend. Sie ist auch wichtig, um den Verdauungstrakt in Stand zu halten, denn über das Essen werden wichtige Ballaststoffe eingenommen, die eine Aufnahme der Vitamine erst ermöglichen. 

Und doch wird Vitamin D in der Empfehlung der SGE als Ausnahme angegeben, weil es nur zu geringen Mengen in Nahrungsmitteln enthalten ist. Stattdessen wird es durch UV-Strahlung von der Sonne gebildet. Beim Kontakt mit der Haut werden Provitamine, die in Hautzellen bereits enthalten sind, zum Vitamin umgewandelt. Jedoch bestrahlt die Sonne unsere Breitengrade im Winter nur spärlich. Deshalb empfiehlt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) in den Wintermonaten eins bis zwei Stunden in der Sonne zur Mittagszeit, um den täglichen Bedarf zu decken. Dieser beträgt durchschnittlich etwa 15 Mikrogramm pro Tag bei einer erwachsenen Person. Im Sommer erfüllt etwa eine halbe Stunde den Zweck, aktives Sonnen wird nicht empfohlen, wegen des Hautkrebsrisikos. Im Körper unterstützt das Vitamin die Calcium- und Phosphataufnahme und trägt insofern zur starken Knochen- und Zahnbildung bei. «Es aktiviert ausserdem die Abwehrkräfte im Körper. Leider weiss man bis jetzt aber nicht genau warum», sagt Apotheker Leo Grossrubatscher. 

Korrelation bedeutet nicht Kausalität

Diese Stärkung des Immunsystems dürfte für die Durchführung der zwei Studien ausschlaggebend gewesen sein, auf die sich die Aussage meiner Mutter bezog. Die erste wurde in der Fachzeitschrift «Journal of Medical Virology» veröffentlicht. Es handelt sich um eine Metastudie über den möglichen Zusammenhang von Vitamin D und dem Krankheitsverlauf von Covid-19-Erkrankten. Dabei konnte im Blut von Patient*innen, denen ein milder Krankheitsverlauf prognostiziert wurde, eine hohe Vitamin-D-Konzentration nachgewiesen werden. Umgekehrt erlebten Patient*innen mit signifikant niedrigerem Vitamin-D-Wert einen schweren Krankheitsverlauf. Bei dieser Feststellung ist aber zu beachten: Korrelation bedeutet nicht Kausalität. Zum Beispiel weisen ältere, aber auch sehr übergewichtige Personen oft einen Vitamin-D-Mangel auf. Sie haben mehrheitlich einen schweren Krankheitsverlauf. Fehlende Bewegung und unausgewogene Ernährung kommen bei beiden Gruppen oft vor. Dadurch wird das Immunsystem allgemein geschwächt, nicht nur wegen des Vitaminmangels. 

Im Oktober wurde eine Pilotstudie der Universität Córdoba veröffentlicht, welche auf einen weiteren Zusammenhang hindeutet. Aus 76 hospitalisierten Patient*innen wurden 50 zufällig ausgewählt, denen zusätzlich zur Standardtherapie Calcifediol verabreicht wurde, eine Vorstufe des eigentlichen Vitamins, das im Körper zum Wirkstoff umgewandelt wird. In der zusätzlich behandelten Gruppe wurde nur eine Person auf die Intensivstation verlegt, während es in der anderen 13, also die Hälfte waren, von denen schliesslich zwei verstarben. Obwohl die Ergebnisse hierbei noch eindeutiger sind, schreibt die Forschungsgruppe in der Zeitschrift «The Journal of Steroid Biochemistry and Molecular Biology», dass die Ergebnisse auf weitere Risikofaktoren untersucht und sortiert werden müssten. Aktuell wird an der Harvard Medical School eine grosse Studie dazu durchgeführt.

Allzu viel ist ungesund

Anhand dieser Erkenntnisse empfiehlt Grossrubatscher aber keine vorsorgliche Einnahme von Vitamin-D-Tabletten: «Supplemente müssen nur eingenommen werden, wenn ein Mangel besteht.» Durch einen Bluttest kann dies schnell festgestellt werden. Tatsächlich sei aber der Verkauf von Supplementen des Stoffes in seiner Apotheke während des letzten Halbjahres, also seit Veröffentlichung der Studien, um etwa 15 Prozent gestiegen. Eine etwas höhere Nachfrage scheint also vorhanden zu sein.  

Übermässige Vorsorge ist auch nicht zu empfehlen. Bei exzessiver Einnahme hoch dosierter Supplemente besteht das Risiko einer zu hohen Konzentration von Calcium im Blut, schreibt die SGE. Dies kann mitunter Kopfschmerzen, Herzrhythmusstörungen und Übelkeit auslösen. Zumindest als Hilfsmittel während der Massnahmen zur Pandemiebekämpfung hat sich der Spaziergang bereits bewährt. Bewegung, frische Luft und sozialer Austausch waren auch während des letzten Lockdowns im Frühling möglich. In der Mittagssonne erhält er womöglich gar neue heilende Eigenschaften.

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