Vom Kirchenrecht zum ECTS-Punktesystem

Ein Medizinstudium ohne Semesterprüfungen abzuschliessen war vor 80 Jahren gang und gäbe. Heute wird mit dem Numerus Clausus schon vor dem Studienbeginn gesiebt. Die schweizerische Hochschulbildung scheint sich seit ihren Anfängen stark verändert zu haben – Ein Überblick.

Léonie Hagen, Philosophy, Politics & Economics

«Wir mussten bis zum Abschluss gar keine Prüfungen schreiben. Als wir als praktizierende Ärzte in die Welt entlassen wurden, hatten wir doch keine Ahnung, was wir taten», witzelt Donat Jäger im Gespräch über sein Medizinstudium in den 1960er-Jahren anlässlich des 175. Jubiläums der Walliser Ärztegesellschaft. Heute sei so etwas unvorstellbar. Das wirft die Frage auf: Wie hat sich die schweizerische Hochschulbildung seit ihren Anfängen verändert?

Wenn aus Klosterschulen Universitäten werden

Wie in ganz Europa entwachsen auch die ersten Universitäten der Schweiz einem religiösen Fundament. Dort können sich junge Edelmänner Wissen in den Bereichen der Theologie, des Rechts und der Medizin aneignen. Den Abschluss schaffen aber nur sehr wenige.

Im 19. Jahrhundert steigt das Interesse an wissenschaftlicher Forschung und der Entwicklung neuer Instrumente. Während landesweit Universitäten aus dem Boden schiessen, wird auch die obligatorische Schulzeit eingeführt. Eine eidgenössische Subventionierung der Hochschulen lehnt der Bundesrat wiederholt ab.

Ab 1866 nimmt die Universität Zürich als erste Schweizer Hochschule auch Frauen auf, wobei diese Studentinnen vor allem aus der russischen Bourgeoisie stammen. Die Studiengänge werden professionalisiert und erweitert, das Studienangebot durch neu geschaffene Fakultäten breiter. Damit festigen die Universitäten ihr Monopol auf die höhere Schulbildung, das fast ein Jahrhundert anhält.

Diversität versus Verständlichkeit: Die Bologna-Reform

Im Zuge des 20. Jahrhunderts entstehen verschiedene Fachhochschulen, die erst in den 1990er-Jahren schweizweit anerkannt und den Universitäten formal gleichgestellt werden. Mittlerweile ist das Studienangebot vielfältig und die Studierendenzahl steigt rasant. Die fortschreitende Digitalisierung erlaubt eine nie dagewesene Mobilität. Kurse aus der ganzen Welt können per Mausklick vom Sofa aus besucht werden, und dennoch sind die Abschlüsse an jeder Universität anders geregelt.

Berühmt-berüchtigtes «Bologna»:
Die Deklaration von Bologna (1999) wollte den Weg für ein «Europa des Wissens» ebnen. Mit mehrstufigen Abschlüssen und ECTS-Punkten sollten die Diplome europaweit vergleichbarer gemacht werden. Seither haben sowohl die durchschnittliche Studiumsdauer als auch die Abbruchquote leicht zugenommen. Die Fachhochschulen werden anerkannt, sind den Universitäten aber nicht gleichgestellt.

Die europaweite Bologna-Reform soll Struktur in die Studienlandschaft bringen. Sie will mit dem Bachelorabschluss den Einstieg ins Berufsleben vereinfachen, was allerdings nicht gelingt: Neun von zehn Studierenden gehen direkt zu einem Masterstudium über. Zwischen einer betonten Formalisierung der Kompetenzen und dem fehlenden Praxisbezug stellt sich nun die Frage: Wo wollen wir eigentlich hin? Denn so schön die Vorstellung eines «Europa des Wissens» scheint – wie es konkret aussehen soll, bleibt nach wie vor unklar.


Die Universität in der Schweiz: ein Abriss

1460 – Universität Basel
1509 – Universität Genf
ca. 1600 – Theologische Fakultät in Luzern

1803 – Mediationsakte auf Bundesebene: Die Schulhoheit geht an die Kantone.
1833 – Universität Zürich
1834 – Universität Bern
1848 – Bundesverfassung (Gründung der modernen Schweiz)
1855 – ETH Zürich
1874 – Erstes Technikum in Winterthur
1898 – HSG

1952 – Errichtung des Schweizerischen Nationalfonds (SNF)
1968 – Erste nationale Subventionen für Universitäten
1999 – Unterzeichnung der Bologna-Erklärung (vgl. Infotext)

2000 – Universität Luzern
2006 – Gesetzliche Verankerung der Bologna-Reform mittels Abstimmung.

Zeen is a next generation WordPress theme. It’s powerful, beautifully designed and comes with everything you need to engage your visitors and increase conversions.