Damals ein Grund zur Hinrichtung, heute ein Totschlagargument

Illustration: Samea Matter

Im Mittelalter wurden auf Europas Scheiterhaufen vermeintliche Hexen verbrannt. Heute wird «Hexenjagd» losgelöst von seiner ursprünglichen Bedeutung für Selbstinszenierungszwecke verwendet. Warum dies absurd ist.

Sandra Frommelt, Politische Ökonomie

Am World Economic Forum dieses Jahres sagte Donald Trump über sein Amtsenthebungsverfahren: «It’s the witch hunt that’s been going on for years.» Gemäss Trump sei es nicht das erste Mal, dass er Opfer einer Hexenjagd wird. Die Datenbank factba.se zeigt: Ganze 608-mal seit Amtsantritt sprach er öffentlich von «witch hunts», so beispielsweise auch im Rahmen der Mueller-Investigation 2016. Hexenjagd ist gemäss Duden als «unbarmherzige, unrechtmäßige Verfolgung und Verurteilung von Menschen» zu verstehen.

Allein ist Trump mit der Verwendung der Metapher keineswegs: Medien, Promis sowie Mächtige aus Politik und Wirtschaft machen nur zu gerne davon Gebrauch. So verwendete zum Beispiel die Milliardärin Isabel dos Santos, die der Geldwäscherei und Korruption beschuldigt wird, in ihrer öffentlichen Stellungnahme den Begriff «witch hunt». Ende 2019 berichtete die NZZ in Verbindung mit dem israelischen Ministerpräsidenten, der sich unter anderem mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert sah: «Netanyahu weist die Vorwürfe als politisch motivierte Hexenjagd zurück». Ausserdem schmückten die Worte «Woody Allen Warns of ‘Witch Hunt’ Over Weinstein» einen New-York-Times-Artikel in 2017.

Sündenböcke und Unschuldslämmer

Arm, ledig und weiblich – daraus setzte sich das im Mittelalter geläufige Opferprofil der Hexenverfolgung zusammen. Es wurden Frauen verfolgt, die sich nicht ihrer gesellschaftlich zugewiesenen Rolle entsprechend verhielten: Andersdenkerinnen, Nicht-Konformistinnen. Kirche und Staat fanden in ihnen den Sündenbock für Epidemien, kriselnde Wirtschaft und Naturkatastrophen. Man unterstellte ihnen Ketzerei und Pakte mit dem Teufel. Zwar konnten Verdächtige nur auf Basis eines Geständnisses verurteilt werden, dieses wurde aber oft durch Folter erzwungen. Wo ein Geständnis bestand, brannte bald ein Scheiterhaufen.

Im Gegensatz zu den auf dem Scheiterhaufen verbrannten Nicht-Konformistinnen des Mittelalters sind die Menschen, die sich heute selbst als Opfer von Hexenverfolgungen bezeichnen, mit wenigen Ausnahmen mächtige, reiche Männer. Mit dem Totschlagargument «witch hunt» wollen sie kritische Stimmen zum Schweigen bringen. Die heutigen «Hexer» inszenieren sich als Unschuldslämmer, die auf die Schlachtbank geführt würden, und zweifeln an der Objektivität des Justizsystems. Diese Strategie scheint – zumindest für Trump – aufzugehen: Menschen, welche dem US-Präsidenten Fehlverhalten vorwerfen, werden öffentlich an den Pranger gestellt. Und er, er bleibt der mächtigste Mann der Welt.

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