Rachèle Moser, Gesellschafts- und Kommunikationswissenschaften
Einige Tage fühlen sich an wie verschwendet. Sich ewig den Kopf zerbrechen, ohne dass man am Ende wirklich etwas erreicht. Ausschlafen, obwohl früh aufstehen produktiver gewesen wäre. Stundenlanges Herumliegen, anstatt sich zu bewegen. Sich mit einem Menschen verabreden, nur um kurzfristig eine Absage zu erhalten. Sich einsam fühlen, weil niemand Zeit hat. An die Decke starren und nichts dabei denken. Nur da sein, in der Stille, und sich fragen, wo die Zeit hin ist.
Oh ja, die Zeit. Wer kennt’s nicht? Man sitzt am Schreibtisch und zerbricht sich den ganzen Tag den Kopf über einen Text oder ein Buch, ohne dass man am Ende wirklich etwas verstanden hat. Man liest und liest, und beginnt nochmals von vorne, weil man längst abgeschweift ist. Man starrt die Zeilen an – nichts. Man beginnt sich die Augen zu reiben, weil man schon müde wird vom ganzen Lesen, aber es will einfach nichts in den Kopf. Mit jeder Minute, die verstreicht, steigt die Verzweiflung und am Ende flucht man über die verschwendete Zeit.
Manchmal kommt es gar nicht erst so weit, dass man den Versuch startet, etwas zu unternehmen. Ein Anflug von Lustlosigkeit mag ausreichen, so dass man jede Sekunde ohne jeglichen Nutzen verstreichen lässt. Man scheitert bereits bei der Vorstellung, sich im Bett aufzurichten und sich anzukleiden. Der Gedanke daran, zu duschen und sich dann nach draussen in die Kälte zu bewegen, lässt einen bereits frieren, wenn man nur schon die Zehenspitzen unter der warmen Decke hervor streckt. Also bleibt man liegen. Der Wecker wird ignoriert. Oder vielleicht hat man am Tag zuvor gar nicht erst einen gestellt. Anstatt in den Tag zu starten, dreht man sich frustriert auf die andere Seite und vergräbt sein Gesicht im Kissen.
Der Tag vergeht und am Abend liegt man noch immer im Bett oder sitzt frustriert am Schreibtisch. Der Kopf ist schon ganz schwer vor lauter kreisenden Gedanken. Die Liste von Dingen, die man erledigen wollte, wird immer länger. Man beginnt sich schuldig zu fühlen und macht sich Vorwürfe, den Tag vergeudet zu haben. Man malt sich Varianten aus, wie man die vergangenen Stunden besser hätte nutzen können.
Manchmal gibt man für die verlorene Zeit auch anderen die Schuld. Dafür, dass sie ein Treffen kurzfristig abgesagt haben. Oder weil niemand Zeit hatte, etwas zu unternehmen. Man schiebt die Schuld vielleicht auch anderen zu, weil man sich selbst nicht schuldig fühlen möchte. Und doch ändert das alles nichts an der Tatsache, dass der Tag ein Ende nimmt und die Nacht anbricht.
Geplagt von Schuldgefühlen, löscht man die Lichter, kuschelt sich unter die Decke und nimmt sich fest vor, es morgen besser zu machen.
Aber treten wir doch einmal einen Schritt zurück und betrachten die Idee der verschwendeten Zeit aus einer anderen Perspektive. Wer beurteilt, was verschwendete Zeit ist? Ist es nicht einfach ein Konzept in unseren Köpfen? Das Leben hat keine Anleitung, es gibt keine Regeln, wie man seinen Tag zu leben hat. Vielleicht betrachtet man die Zeit nur als verschwendet, weil man den eigentlichen Nutzen übersieht.
Denn was, wenn das alles eigentlich Aufforderungen von uns an uns selbst sind und wir einfach nicht richtig hinschauen? Was, wenn das Ausschlafen bedeutet, dass man dem Körper Zeit für Erholung gibt? Was, wenn stundenlanges Herumliegen bedeutet, dass man während einem Augenblick dem Stress im Alltag entkommen kann? Einfach einmal durchatmen und nicht irgendwelchen Verpflichtungen hinterherrennen? Was, wenn eine Absage einen beschützt, vor jemandem, der einem Böses wollte?
Was, wenn Einsamkeit eine Aufforderung ist, mehr Zeit allein zu verbringen? Sich auseinanderzusetzen mit den eigenen Gedanken und sie zu steuern? Reden wir nicht deshalb von verschwendeten Tagen, weil wir uns ständig selbst schlecht machen? Wer, wenn nicht wir selbst, ist der Übeltäter, welcher uns im Glauben lässt, dass wir unsere Zeit verschwenden?
Wenn wir uns Zeit für uns nehmen und uns lieben lernen, wenn wir auf uns Rücksicht nehmen und auf unseren Körper hören, wenn wir uns nicht mehr fürchten vor der Stille – verschwindet dann der Gedanke des verschwendeten Tages nicht von selbst?