Was sich wie eine Utopie anhört, kann gemäss den zahlreichen Ratgebern zum Thema Stressbewältigung während des Studiums zur Realität jedes Studierenden werden. Ihnen zufolge sind Optimierung des Zeitmanagements und produktive Selbstorganisation der Schlüssel für ein glückliches und erfülltes Leben. Doch trotz der anschaulich verpackten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Lerntechniken, Motivationsstrategien und Produktivität, ist der Stress kaum aus dem Alltag eines Studierenden wegzudenken.
Der Begriff «Stress» taucht im medizinischen Kontext bereits in den 1930er-Jahren auf. Allerdings wird der Stress, so wie er im herkömmlichen Sinne verstanden wird, erst im Zuge der Umgestaltung der Arbeitswelt in den 1960er-Jahren gesellschaftlich relevant. In den beiden darauffolgenden Jahrzehnten bildete sich der Stress zunehmend als eine Kategorie der Selbstwahrnehmung und -diagnose heraus. Gleichzeitig wurden auch vermehrt Krankheiten wie beispielsweise die heute aus der Zeit gefallene Managerkrankheit oder das Burnout auf Stress zurückgeführt.
Der Beginn der Ratgeber
Schliesslich erreichte der Stress in den 1980er-Jahren neue gesellschaftliche Ausmasse, welche sich in der Vielzahl an publizierten Ratgebern und Selbsthilfebüchern zum Thema Stressbewältigung und -management materialisierten. So wurden mit der Zeit unterschiedliche Bereiche des Stress ausgemacht und bewusst spezifische Ratgeber für beispielsweise die Stressbewältigung im Job, im Familienalltag oder eben im Studium herausgegeben.
In den letzten Wochen habe ich mich durch so manche Ratgeber, die in den letzten zehn Jahren erschienen sind, gekämpft. Sie alle warben mit dem Slogan “Stressfrei durchs Studium”. Die unterhaltsamen Uni-Anekdoten, die Best-Practice-Beispiele und die zahlreichen Tipps, Tricks und Aufgaben, anhand denen die Leserschaft gleich mit der Selbstoptimierung loslegen könnte, zielten alle auf das grosse Versprechen dieser Ratgeber hin: Die Reduzierung des Stress soll zu einem glücklichen und erfüllten Leben führen. Durch wissenschaftlich fundierte Lerntechniken wie beispielsweise die Pomodoro-Technik, die 80/20-Regel oder die Eisenhower-Methode kann das eigene Zeitmanagement verbessert werden. So können mit einem geringeren Zeitaufwand bessere Leistungen und Noten erzielt werden. Die dadurch gewonnene Zeit kann wiederum in die eigenen Interessen und Hobbys investiert werden, was uns ergo glücklicher machen sollte. Diese auf den ersten Blick durchaus nachvollziehbare und überaus attraktive Schlussfolgerung erschien mir allerdings zu gut, zu einfach und zu naheliegend, um wahr zu sein. Wo ist der Haken? Diese Ratgeber bestehen ja seit geraumer Zeit und sie alle behaupten, über den Schlüssel eines stressfreien Lebens zu verfügen. Wenn uns also wirklich die Antwort für ein stressfreies Studium, herausragende Noten und ganz generell ein glückliches und erfülltes Leben auf dem Silbertablett serviert wird, weshalb gibt es dann überhaupt noch gestresste Studierende?
Ende Semester = Stressfalle
Zugegeben, die Frage mag banal klingen. Dennoch vernehme ich, dass viele meiner Kommiliton*innen gerade jetzt mit dem nahenden Ende des Semesters in einen Zustand des Dauerstress verfallen. Kein Wunder, denn zu den normalen Uni-Stressoren wie Vorbereitung auf Vorlesungen, Seminare und Tutorate sowie zu den alltäglichen ausseruniversitären Verpflichtungen eines Nebenjobs oder der ersten eigenen Wohnung gesellen sich wieder einmal die gefürchteten Deadlines, Referate und Prüfungen. Und so stelle ich nochmals die Frage: Wieso wird dem nicht entgegengewirkt mit einem der zahlreichen Ratgebern? Die Antwort: Ganz so leicht, wie diese Ratgeber es versprechen, ist das stressfreie Studieren keineswegs. Denn genauso wie ein Studium erfordert die richtige Erlernung und Umsetzung des optimalen Zeitmanagements viel Selbstdisziplin, harte Arbeit und Durchhaltevermögen. Doch die Belohnungen für die Anstrengungen sind gross; mehr Freizeit, bessere Noten und stressfreies Studieren. Noch bleibt genügend Zeit, um vor der anstehenden Prüfungsphase einen Ratgeber in die Hand zu nehmen und den Versuch zu wagen, neue Gewohnheiten zu schaffen, um die Prüfungsphase stressfreier zu überstehen. Empfehlen kann ich den Ratgeber Bachelor of Time von Tim Reichel.
Der Kampf gegen das Prokrastinieren
Für alle anderen, die sich bereits mitten in der stressigen Phase befinden und keine Zeit für das eigene Zeitmanagement haben, möchte ich meine wohl wichtigste Erkenntnis aus all diesen Ratgebern nicht vorenthalten. Fang einfach an! Wie die meisten Studierenden bin auch ich mit der Prokrastination oder wie sie umgangssprachlich gerne genannt wird, der Aufschieberitis, bestens vertraut. Um diesem Problem entgegenzuwirken, versuchte ich in den letzten Wochen, die zu erledigenden Aufgaben in jeweils kleinere Aufgaben zu zerlegen. Dadurch, dass die einzelnen Aufgaben nun klein, einfach und machbar erschienen, konnte ich sie locker abarbeiten. Ich fühlte mich produktiv, was wiederum meine Motivation steigerte und mich dazu veranlasste, weitere kleinere Aufgaben zu erledigen. Und genau mit diesem Trick schaffte ich es auch, mich Stück um Stück durch die Massen von Ratgebern zu ackern. Jetzt liegt es an mir (und an euch), das Gelesene umzusetzen, um in eine stressfreie Zukunft zu blicken.
Quellen:
- Tim Reichel, Bachelor of Time. Zeitmanagement im Studium, Aachen 2016.
- Siehe auch seinen Blog studienscheiss.de für weitere Tipps und Tricks rund ums Studieren.
- Martin Sutoris, Der UNI-Coach. So kommst du entspannt, motiviert und erfolgreich durch dein Studium, Berlin 2018.
- Barbara Krautz / Heike Schiebeck / Jörg Schülke, Stressfrei studieren ohne Burnout, Konstanz / München 2014.
- Lea Haller / Sabine Höhler / Heiko Stoff, Stress – Konjunkturen eines Konzepts, in: Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History 11 (2014), S. 359–381.