An der polnisch-belarussischen Grenze kommen täglich flüchtende Menschen an. Polen versucht diese Art von Migration unter anderem mit Hilfe der Armee und eines Grenzzauns zu stoppen. Fünf Schweizer Aktivistinnen und Aktivisten unterstützen lokal bestehende Angebote, um den flüchtenden Menschen zu helfen.
Jan Fedeli, Politikwissenschaften und Geschichte
Die Situation an der belarussisch-polnischen Grenze ist problematisch. Vor einem Jahr erhielt das Gebiet noch grosse mediale Präsenz. In den News hiess es, Polen würde mit grosser Brutalität gegen flüchtende Menschen vorgehen, die von Belarus her die Grenze überqueren. Von Pushbacks und Gewalt seitens der polnischen Grenzbeamten war damals die Rede. An der Situation hat sich seitdem wenig geändert. Weiterhin kommen Menschen erschöpft auf der polnischen Seite an. Die meisten Flüchtenden stammen aus Syrien und den umliegenden Ländern. Das mediale Interesse in Europa hat aber stark abgenommen. Trotzdem engagieren sich weiterhin viele Menschen aus der Region, aus Teilen Polens, aber auch aus anderen europäischen Ländern ehrenamtlich, um lokal bestehenden Angeboten zur Unterstützung der Flüchtlinge zu helfen. Fünf Aktivistinnen und Aktivisten aus der Schweiz, davon drei aus Luzern, befinden sich seit zwei Wochen in Polen an der polnisch-belarussischen Grenze. Zu den Aufgaben der Helfenden gehört es, die Geflüchteten in den Wäldern an der Grenze aufzusuchen und sie mit dem Nötigsten zu versorgen. Es werden Winterjacken bereitgelegt, Nahrungspakete geschnürt und Medikamente bereit gemacht. Oft sind die Menschen völlig entkräftet, da sie bis zur Grenze viele Hindernisse überqueren müssen.
Unterstützung und Solidarität in einem Umfeld von staatlicher Repression und Kriminalisierung
Seit gut einem Jahr gibt es auf polnischer Seite eine Notfallnummer, die rund um die Uhr betreut wird. Diese Nummer können Flüchtende kontaktieren, um Unterstützung in Notlagen zu erhalten. Ein Netzwerk aus aktivistischen Kollektiven und Einzelpersonen organisiert den Bereitschaftsdienst verschiedener Aktionsgruppen, welche überlebenswichtige Ausrüstung und Nahrung zu den Menschen bringen und gegebenenfalls auch medizinische Unterstützung leisten sowie Hinweise zur asylrechtlichen Situation geben können. Die Treffpunkte werden in Form von GPS-Koordinaten mitgeteilt, die spezifischen Bedürfnisse der Flüchtenden bei der Kontaktaufnahme abgeklärt. Vieles erscheint ähnlich wie bei einem konventionellen Rettungsdienst, doch die Umstände, unter denen diese Arbeit stattfindet, sind alles andere als konventionell. Die Menschen auf der Flucht halten sich meistens in den Wäldern auf, um verdeckt zu bleiben, weil sie der Gefahr ausgesetzt sind, von Polen wieder nach Belarus abgeschoben zu werden. Zudem gibt es immer wieder Berichte darüber, dass polnische Grenzbeamte Gewalt gegen Menschen auf der Flucht anwenden. Polen ist zwar ein EU-Land, aber selten ein Zielland der Migration. Die meisten Flüchtenden möchten nicht in Polen bleiben, da dort die Chancen auf Asyl gering sind. Viele Menschen werden abgeschoben oder in geschlossene Lager gesteckt, in welchen sie bis zu 18 Monaten bleiben müssen. Polen stellt dabei das nationale Recht über das internationale Recht, denn eigentlich verbieten internationale Richtlinien und Abkommen wie die Genfer Flüchtlingskonvention Pushbacks von Flüchtenden.
Gemäss den Aktivistinnen und Aktivisten machen Zäune oder militarisierte Grenzen die Migration unsicher, verhindern sie aber nicht. Viele Menschen klettern über den erst dieses Jahr fertiggestellten Grenzzaun oder graben sich darunter durch und verletzen sich oft dabei. Bewegungssensoren und die in Teilen bereits in Betrieb genommenen Videoüberwachungen erschweren die Überquerungen zusätzlich. Es herrschen lebensbedrohliche Bedingungen aufgrund der Minustemperaturen, des Schnees und der Hindernisse, die auf der Flucht überquert werden müssen. Dazu gehören auch grosse Flüsse, die auf den Migrationsrouten liegen. Die belarussischen Behörden führen Geflüchtete aus Ländern wie Syrien mit gezielten Mitteln an die Grenze zu Polen. In Belarus können die Geflüchteten einfach ein Visum erlangen und dann nach Minsk fliegen. Vielen Geflüchteten werden dort Pakete angeboten, die einen Flug nach Minsk sowie eine Weiterfahrt nach Deutschland oder Frankreich beinhalten. Zudem werden auch viele Menschen mit Zwang vom belarussischen Regime an die belarussisch-polnische Grenze gebracht, welche sie dann überqueren müssen, weil sie in Belarus kein Aufenthaltsrecht erhalten. Das Verhalten des Regime ist rechtswidrig und richtet sich entgegen den internationalen Abkommen.
Staatliche Propaganda führt zur Ablehnung durch Bevölkerung
Ein Grossteil der polnischen Bevölkerung befürwortet den Grenzzaun sowie die Politik der polnischen Regierung. Die Menschen sind misstrauisch gegenüber der Migration und sehr konservativ gegenüber Fremden und Fremdem eingestellt. Für manche stellt die stark bewachte Grenze auch einen Schutzwall gegen Russland dar. Trotzdem helfen auch lokale Menschen solidarisch an der Grenze aus. Der polnische Staat betreibt aber ganz klar Propaganda für die Militarisierung der Grenze, zum Beispiel besuchen Grenzbeamte Schulen und bezeichnen ihre Arbeit als Heldentum. Es wird propagiert, dass die Grenzbeamten die Bevölkerung beschützen würden. Viele lokale Aktivistinnen und Aktivisten arbeiten deshalb verdeckt, weil sie sonst in ihrer Arbeit mit Repression belegt werden würden. Gerade die Einsätze im Wald bergen das Risiko, dass die Grenzpolizei und Armee den Aktivistinnen und Aktivisten folgen, um so die Flüchtenden aufzuspüren.
Ungleichbehandlung der Flüchtlinge im Vergleich zu ukrainischen Flüchtlingen
Es ist paradox: Während sich Menschen aus Angst vor Abschiebung an der polnisch-belarussischen Grenze verstecken müssen, werden die Geflüchteten aus der Ukraine mit offenen Armen empfangen. Diese Ungleichbehandlung von Geflüchteten hat stark mit staatlichem Willen zu tun. Für die Aktivistinnen und Aktivisten ist dies rassistisch motiviert. Denn der polnische Staat propagiert die Ungleichbehandlung öffentlich. Gegen die Menschen, die aus Belarus einreisen, müsse das Land verteidigt werden: Die Flüchtlinge aus der Ukraine seien «Brüder und Schwestern», denen Polen helfen sollte. Obwohl die Situation nicht mehr gross in den Medien ist, arbeiten unzählige Menschen aktiv an der Verbesserung der Situation mit. Es gibt viel lokalen Widerstand. Den Aktivistinnen und Aktivisten aus der Schweiz geht es darum, diesen bestehenden Widerstand zu unterstützen. An eine Heimreise haben die fünf Personen noch nicht gedacht. Sie warten ab, inwiefern sich die Situation entwickelt. Eventuell benötigt dann in einigen Monaten eine weitere Region Unterstützung.