In den letzten Jahren gab es in mehreren Kantonen Abstimmungen über die Senkung des Stimmrechtsalters auf 16 Jahre. Sollte sich also etwas ändern? Wie stünden die Chancen dazu?
Reto Walpen, Philosophy, Politics and Economics
Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Neuenburg, Uri, Zürich, Bern, Freiburg, Thurgau, Schaffhausen, Jura, St. Gallen, Luzern, Waadt, Zug, Schwyz, Genf, Aargau, Solothurn, Tessin, Graubünden, Appenzell Ausserrhoden, Wallis und Glarus. All diese Kantone befassten oder befassen sich in der einen oder anderen Form mit einer Herabsetzung des Stimm- und Wahlrechts auf 16 Jahre. Doch nur die Glarner Landsgemeinde sagte bisher ja dazu. Das Anliegen hatte jeher einen schweren Stand.
Spätestens seit der Frühlingssession 2019 ist das Thema eines tieferen Stimmrechtsalters auch in den eidgenössischen Räten angekommen. Damals reichte die Grüne Basler Nationalrätin Sibel Arslan eine parlamentarische Initiative ein, welche die Senkung des Stimmrechtsalters auf eidgenössischer Ebene forderte. Seither scheint das Vorhaben Fahrt aufzunehmen.
In der vergangenen Frühlingssession entschied sich der Nationalrat dank klarem Ja der SP, der Grünen und der GLP sowie Stimmen der Mitte und der FDP für das Weiterziehen des Anliegens. Zuvor wurde es bereits von der zuständigen Kommission des Ständerats unterstützt. Die staatspolitische Kommission des Nationalrats arbeitet nun an einem spezifischen Umsetzungsvorschlag. Dass in ein paar Jahren auf eidgenössischer Ebene darüber abgestimmt wird, ob bereits Sechzehnjährigen das aktive Stimm- und Wahlrecht gewährt wird, wird immer wahrscheinlicher.
Deshalb die Frage vorweg: Was würde es bedeuten, wenn man Schweizer*innen nicht erst mit 18, sondern bereits mit 16 an die Urne gerufen werden würden?
Eine Frage der Reife?
Angenommen, es wäre eines Tages so weit, wäre die Schweiz damit keine Pionierin. In Ländern wie Malta, Argentinien, Schottland, Brasilien oder Österreich können junge Menschen bereits an Wahlen auf verschiedenen Ebenen teilnehmen. Soviel sei gesagt: Politische Erdbeben verursachten die zusätzlichen jungen Wähler*innen nirgends.
Doch konnte die Politikwissenschaft durchaus positive Folgen für die Demokratiequalität beobachten: So beispielsweise eine grössere Zufriedenheit mit dem demokratischen System sowie eine höhere Wahlbeteiligung aller Altersgruppen. Auch die Glarner*innen, welche den Jugendlichen vor nunmehr 15 Jahren das aktive Stimm- und Wahlrecht gewährten, sind gemäss Politologe Claude Longchamp rückblickend durchaus zufrieden mit ihrer Entscheidung.
Für die Befürworter*innen ist daher klar, dass ein tieferes Stimmrechtsalter wichtige Vorteile mit sich bringt: Mehr politische Mitsprachemöglichkeiten für diejenigen, die am längsten mit den Entscheidungen leben müssen. Eine Stärkung der Demokratie, wenn mehr Menschen zum Demos gehören. Und wohl am wichtigsten: Mit 16 sei man durchaus reif genug, bei wichtigen politischen Entscheidungen mitzureden. Wieso sollte man es also nicht dürfen?
Ganz anders sieht das die Gegenseite: Aktives und passives Wahlrecht gehörten dann nicht mehr zusammen, genauso wichtige Rechte und Pflichten. Man würde in einem solchen Szenario also noch keine Steuern zahlen, aber über Steuern abstimmen dürfen. Und mit 16 sei man zudem zu leicht beeinflussbar und könne die komplexen Themen, über die teils abgestimmt wird, sowieso noch gar nicht richtig begreifen.
Regiert bald die linksversiffte Klimajugend?
Dass von einer Senkung des Stimmrechtsalters vor allem grüne Kräfte profitieren würden, lässt sich kaum von der Hand weisen. Bei den letzten Nationalratswahlen 2019 waren die GLP und die Grünen bei den jungen Wählerinnen und Wählern besonders stark. Hätten nur die Achtzehn- bis Vierunddreissigjährigen gewählt, wären die Grünen gemeinsam mit der SVP sogar stärkste Kraft im Nationalrat geworden. Die GLP hätte ihrerseits sowohl die FDP wie auch die damalige CVP überholt und sich nur knapp hinter der SP als viertstärkste Partei behaupten können. Bei den ganz Jungen dürfte diese Tendenz noch stärker gewesen sein.
Dennoch sollte der Einfluss der Sechzehn- und Siebzehnjährigen nicht überschätzt werden, sollten sie eines Tages politische Rechte erhalten. Momentan sind in der Schweiz 5.5 Millionen Menschen stimmberechtigt. Durch eine Herabsetzung des Stimmrechtsalters kämen 130’000 hinzu. Das wären 2.6 Prozent der Stimmbevölkerung. Nicht vollständig vernachlässigbar, aber auch kaum matchentscheidend.
Hat das Anliegen Chancen?
Sollte die Vorlage in den nächsten Jahren tatsächlich vors Volk kommen, ist fraglich, wie die Chancen für ein Ja stehen. Alle Kantone, die bisher an der Urne über eine Senkung des Stimmrechtsalters abgestimmt haben, haben diese mit teils sehr grossen Mehrheiten abgelehnt. Im Kanton Zürich wurde die entsprechende Vorlage im vergangenen Mai fast mit einer Zweidrittelmehrheit verworfen. Auch Bern sagte erst im September klar nein zu einer Herabsetzung des Stimmrechtsalters. Damit sprachen sich die zwei bevölkerungsreichsten Kantone des Landes in diesem Jahr eindeutig gegen die Vorlage aus.
Nicht ohne Grund sprechen die Gegner*innen der Vorlage also oft von Zwängerei, wenn man national etwas einführen will, was die Kantone bisher stets so eindeutig abgelehnt haben. Sollte über das Thema in den nächsten Jahren also auf eidgenössischer Ebene abgestimmt werden, lässt sich kaum abstreiten, dass die Befürworter*innen vor einer wahren Herkulesaufgabe stehen, wenn sie ihr Anliegen durchbringen möchten.