Worte wie Arsendosen: Eine kurze Sprachkritik

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Format
Kritik
Lesedauer
3 Minuten
Veröffentlicht am
24. Oktober 2022

Sprache hat die Macht, Denkweisen zu formen, Meinungen zu bilden und Realität zu konstruieren. Durch die Wahl unserer Worte reproduzieren wir ganz bestimmte Konventionen, Stereotypen, Normen und Bilder. Es ist folglich naheliegend, unsere Sprache genauer unter die Lupe zu nehmen. 

Patricia Stöckli, Soziologie 

Sprache wird oft als ein neutrales Kommunikationsmittelt wahrgenomen, welches auf eine neutrale Weise Informationen transportiert. Doch das stimmt nicht immer. Denn Sprache schafft Realität, sie prägt unsere Wahrnehmung der Welt. Bereits im 19. Jahrhundert stellte der Sprachwissenschaftler Wilhelm von Humboldt die These auf, dass die Sprache die Grundlage aller Gedanken sei. Das heisst: Wir können nur denken, wofür wir auch Worte haben. Existiert beispielsweise für eine Farbnuance kein Wort, nehmen wir diese auch nicht bewusst als eigenen Farbton wahr. Gleichzeitig fliessen gesellschaftliche Normen und Wertvorstellungen, die unser Denken leiten, in die Sprache ein. Somit ist Sprache sowohl Produkt als auch Spiegel unserer Gesellschaft: Bis heute ist unsere Sprache von diskriminierenden Elementen gekennzeichnet – ein sprachliches Abbild dessen, was in den gesellschaftlichen Strukturen wiederzufinden ist.

Sprache als Ausdruck herrschender Normen

Diskriminierender Sprachgebrauch ist in der westlichen Gesellschaft zu einer eingespielten Gewohnheit geworden. Wir können mit Sprache diskriminieren, etwa durch diskriminierende Gruppenbezeichnungen wie «Zigeuner» oder die Frage nach der Herkunft, allein wegen des Aussehens, welche impliziert: Du kommst von wo anders. Du fällst auf, du bist nicht von hier. Auch die Weigerung mancher Institutionen, Frauen ausdrücklich mitanzusprechen und nicht nur mitzumeinen, ist eine traditionsreiche, aber gleichzeitig oft geleugnete sprachliche Diskriminierung. 

Rassistisches Erbe in unserer Gegenwartssprache

In unserer Gesellschaft ist Rassismus in der Sprache ein weit verbreitetes Phänomen. Entgegen oft gehörter Meinung ist Rassismus nämlich kein Problem der Menschen des rechten politischen Spektrums, sondern ein Instrument der weissen Mehrheitsgesellschaft. Sie ist sich dessen allerdings nur selten bewusst. Bereits Kinder werden mit verschiedenen Formen von Rassismus konfrontiert: Das Spiel «Wer hat Angst vor dem schwarzen Mann» und die Globi-Kinderbücher sind nur zwei von zahlreichen Beispielen. Mit einem Blick auf die deutsche Alltagssprache wird erkennbar, dass diese von Wörtern und Redewendungen durchzogen ist, deren rassistische Wurzeln den wenigsten bekannt sind. So kommt es, dass wir eine «weisse Weste» haben, aber «schwarz sehen» und «schwarz fahren».

Ein hartnäckiges Problem

Bei der Bewahrung von rassistischen Wörtern sticht ein Medium besonders hervor: der Duden. Wörterbücher werden von den Menschen meist ohne kritische Hinterfragung des Inhaltes genutzt. Aber hinter dem Duden stehen natürlich Perspektiven. Aus solchen Wörterbüchern sprechen immer auch Meinungen, bestimmte Positionen – und häufig eine sehr stark weiss-zentrierte Position. Im Jahr 2021 hat der Duden 500 neue Wörter hinzugefügt, darunter das N-Wort. Gleichzeitig aber kann das ausgeschriebene rassistische N-Wort nach wie vor nachgeschlagen werden und weder bei ersterem noch bei zweiterem wird explizit auf den Rassismus verwiesen, der dem Wort innewohnt. So steht da «veraltet» statt «rassistisch», was ein Euphemismus ist. Dass Sprache Rassismus untergräbt zeigt sich auch daran, dass es nach wie vor ein tabuisiertes Thema ist. So ist Rassismus zum R-Wort geworden, ein Wort, das kaum jemand in den Mund nehmen will. Doch gerade das Nichtaussprechen kann ein Merkmal von Machtausübung sein. 

Ableismus was?

Ableismus ist grob gesagt das System der Unterdrückung, das behinderte Menschen abwertet und benachteiligt und nicht-behinderte privilegiert. Dass wir in einer ableistischen Gesellschaft leben, lässt sich nicht bestreiten. Doch wie stark ist unsere Sprache davon betroffen? Mit der 2016 veröffentlichten Broschüre «Sprache ist verräterisch» hat AGILE.CH ein Zeichen gegen die sprachliche Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen gesetzt. Darin wird unter anderem aufgezeigt, wie problematisch die Bezeichnungen invalid oder Taubstumme*r sind. Ähnlich verhält es sich mit dem Wort «trotz». «Studium trotz Behinderung»: Warum eigentlich «trotz Behinderung» und gegen was wird da getrotzt? Es gibt kaum Berichte in den Medien zum Thema Behinderung ohne die leidige Phrase «leidet an …». Solche Ausdrücke zeigen, dass Behinderung immer noch als Defizit, als etwas von der Norm abweichendes, angesehen wird und bestärken gleichzeitig diese Vorstellung.

Gute Sprache, schlechte Sprache

Das normative Feld der Sprache eröffnet auch Fragen darüber, welche Sprachen sichtbar werden und wie wir über den Wert von Sprachen verhandeln. In unserer Gesellschaft gilt es als lobenswert, eine Zweitsprache – eine Fremdsprache – zu beherrschen. Doch Fremdsprache ist nicht gleich Fremdsprache und bilingual ist nicht gleich bilingual. Wenn von Bilingualität die Rede ist, denken wir vermutlich an Deutsch und Englisch, an Deutsch und Französisch oder vielleicht an Deutsch und Chinesisch. Das sind Sprachen, die sich im Lebenslauf gut machen und in der Arbeitswelt sehr begrüsst werden. Es sind Sprachen mit Prestige. Bilingue sind aber auch jene Menschen, die Deutsch und Türkisch oder Deutsch und Rumänisch sprechen. Anders als Französisch, Englisch oder Chinesisch, bringen Zweitsprachen wie eben Türkisch oder Rumänisch kaum dieselben Vorteile und Anerkennung. Vielmehr stellen sich Betroffene sogar die Frage, ob sie ihre zweite Muttersprache im Lebenslauf überhaupt erwähnen sollten. 

Es liegt an uns

Sprache, ob verbal oder non-verbal, ist die Grundlage des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Sie wird uns quasi in die Wiege gelegt und wir nutzen sie zumeist intuitiv und ohne gross darüber nachzudenken. Doch Sprache ist Macht und Macht geht mit Verantwortung einher. Es liegt daher an uns, den eigenen Sprachgebrauch zu reflektieren, zu erkennen, mit welchen Worten wir rassistische Stereotype befeuern, und aufzuhorchen und darauf hinzuweisen, wenn Diskriminierungen nicht als das benannt werden, was sie sind. Wir sollten Menschen mit Behinderungen nicht sprachlich aussondern, so wie wir auch sprachliche und kulturelle Pluralität anerkennen und wertschätzen sollten. Denn wie Victor Klemperer sagte: «Worte können sein wie winzige Arsendosen, und nach einiger Zeit ist die Wirkung da.»

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