Weinen, auch ein guter Rausch

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Plädoyer
Lesedauer
1 Minute
Veröffentlicht am
24. Oktober 2022

Wann und warum hast du zum letzten Mal geweint? Der Umgang mit den eigenen Tränen ist einem selbst bekannt, doch wer redet schon darüber? Dabei ist das erste Lebenszeichen, das ein gesundes Neugeborenes von sich gibt, ein weinerlicher Schrei. Unter Druck wird es in die Welt herausgepresst, atmet einmal tief ein, öffnet die Lungen und schreit. Und so wird es weitergehen für die ersten Monate auf dieser Welt: weinen, schreien, lachen. 

Estelle Ophelia Bassal, Pädagogische Hochschule, Studiengang Primarstufe

Wenn ich Kinder weinen sehe, berührt es mich und oft muss ich schmunzeln. Sie weinen so bedingungslos, als wäre alles so schlimm, dabei kennen sie oft noch keinen Bruchteil der vielen Schmerzen der Welt. Als Kind weinen wir immer mal wieder, auch vor anderen, hemmungslos, laut, ehrlich. Doch mit dem Alter nimmt das ab. Die Frage ist: Weshalb? Jungs und Mädchen weinen bis zum 13. Lebensjahr etwa gleich oft. Doch später ändert sich das: Frauen weinen pro Jahr schätzungsweise fünfmal häufiger als Männer und das auch ein wenig länger.

Es lassen sich in der westlichen Popkultur viele Lieder und Gedichte darüber finden. The Cure sang 1980: «I tried to laugh about it, hiding the tears in my eyes cuz Boys don’t cry»” oder in Oliver Koletzki´s “The Power of Rausch”: «Weinen, auch ein guter Rausch. Hatte ich schon fast vergessen. Etwas fühlen, sich suhlen in einem Bad aus Selbstmitleid, hemmungslos und frei».

Es gibt verschiedene Auffassungen, wie Menschen zum Weinen stehen. Zwei Bekannte beschrieben es so, dass sie sich eher dafür schämen, vor anderen zu weinen, weil sie sich vorkommen, als sei es aufgesetzt. Als würden die anderen dann denken, es sei nur eine Show, sie täuschten Gefühle vor. Bei mir war das bis vor kurzem anders. Wenn ich mit einer Freundin einen Film schaue oder eine ergreifende Geschichte höre, die mich zu Tränen rührt, so versuche ich, diese zurückzuhalten. Ich komme mir albern vor, dass ich weinen muss, vor allem in Situationen, die andere um mich herum offenbar nicht so berühren wie mich. Hier kommt wohl eine Wertung dazu, ein Vergleich. Wenn ich dann aber darüber nachdenke, so ist es ziemlich banal, meine Gefühlswelt mit anderen zu vergleichen, wenn genau diese so individuell ist, wie etwas nur sein könnte. Inzwischen sehe ich es folgendermassen: Trage die Tränen mit Stolz, sie sind ein Zeichen dafür, dass Du lebst, dass Du fühlst, dass Du leidest. Im Diamantweg-Buddhismus heisst es, das Leben ist Leiden. Leiden zeigt uns, dass wir leben und ohne Leid gäbe es keine Freude.

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