Das Lesen von Texten stellt einen wichtigen Teil einer universitären Ausbildung dar. Dabei alle Bücher auf dieser Welt zu lesen, ist selbstverständlich unmöglich. So gibt es viele Bücher, die den Weg in die Räume der Universitäten nicht finden und dennoch spannenden Gesprächsstoff bieten. In dieser neuen wiederkehrenden Rubrik stellt euch Lumos jeweils ein solches Buch vor. In dieser Ausgabe wird das 2019 erschienene Buch «Invisible Women. Exposing Data in a world designed for men» von Caroline Criado-Perez behandelt.
Text: Selina Meier, Gesellschafts- und Kommunikationswissenschaften
Design: Jasmin Wyss, Gesellschafts- und Kommunikationswissenschaften
Als der Schweizer Architekt Le Corbusier im 20. Jahrhundert ein menschliches Standardmodell ent- wickelte, entstand ein 1,83 Meter grosser Mann. Der weibliche Körper spielt für das Modell keine Rolle. «Es herrschte also der Konsens, Frauen seien anormal, atypisch», schreibt Caroline Criado-Perez. Dieses Beispiel zeigt gut auf, mit was sich die Autorin in dem hier vorgestellten Buch beschäftigt: dem Gender-Data-Gap.
Criado-Perez verweist auf die bestehende und systematische Diskriminierung von Frauen. Schliesslich leben wir alle in einer Welt, die für Männer geschaffen ist und durch Big Data beherrscht wird. Das Problem dabei ist, dass diese fast ausschliesslich auf Daten basiert, die auf Männer bezogenen sind. Dies führt zu kleineren Folgen wie zu niedrigen Durchschnittstemperaturen in Büros bis hin zu grossen und verehrenden Folgen für das Leben von Frauen. Hier zu nennen ist beispielsweise eine falsche Dosierung von Medikamenten. Criado-Perez schreibt, dass sich hinter dieser Ausgangslage keine bösen oder bewusste Absichten verbergen: «Sie ist schlicht und einfach Ergebnis eines Denkens, das seit Jahrhunderten vorherrscht und deshalb eine Art Nicht-Denken ist».
Die gut vierhundert Seiten sind in sechs Teile aufgeteilt, die verschiedene Alltagssituationen am Arbeitsplatz oder in der Öffentlichkeit behandeln. Die Geschichte, die Criado-Perez erzählt, ist eine der Abwesenheit – mit dem Ziel, sich dieser Unsichtbarkeit bewusst zu werden und die Tatsachen zu benennen. Nebst dem Beschreiben von verschiedenen Situationen, wo Gender-Data-Gap zu sehen ist, zählt Criado-Perez auch auf, was verändert werden muss, um alle Geschlechter zu berücksichtigen. Die Lösung liegt in ihren Augen darin, die Lücke in der Repräsentation zu schliessen und Frauen sichtbar zu machen. Dies wird ermöglicht, wenn Frauen in der Forschung und allgemein an Entscheidungsprozessen beteiligt sind. Denn Frauen vergessen Frauen nicht.
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Caroline Criado-Perez ist 1984 geboren und Autorin wie auch Rundfunkjournalistin. Zudem ist sie Aktivistin und Feministin: Sie setzt sich vor allem für Themen der Geschlechtergleichheit ein. 2015 hat sie ihr erstes Buch «Do it like a Woman» veröffentlicht.
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Für diesen Artikel wurde die deutsche Erstausgabe von 2020 verwendet, worauf sich auch die Zitate beziehen (Caroline Criado- Perez, 2020: Unsichtbare Frauen. Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert. 9. Auflage. München: btb Verlag in der Penguin House Verlagsgruppe GmbH.).