Amatonormativität: Was unsere (Liebes-)Beziehungen beeinflusst

Format
Bericht
Lesedauer
4 Minuten
Erschienen am
24. Oktober 2022

Amato- was? Hinter dem komplizierten Wort «Amatonormativität» stecken gesellschaftliche Annahmen über Romantik. Diese Annahmen beeinflussen, was wir unter (Liebes-)Beziehungen verstehen und wie wir sie navigieren. Warum es wichtig ist, sich diesem Konzept bewusst zu sein und wie es einzelne Personen in der Gesellschaft betrifft, thematisiert dieser Artikel.

Valentina Meyer, Gesellschafts- und Kommunikationswissenschaften
Design: Sarvin Uthayakumar, Philosophy, Politics and Economics

Der Begriff setzt sich aus zwei Worten zusammen. Der erste Teil «Amato» kommt vom Wort «amatus», dem lateinischen Wort für «Geliebte*r». Von diesem Wort stammt auch der Begriff «amourös» ab, welcher laut Duden «Liebschaften betreffend, von Liebesbeziehungen handelnd» bedeutet. Dabei ist hier spezifisch die Rede von der romantischen und der sexuellen Liebe. Der zweite Teil «Normativität» stammt vom Wort «Norm», welches laut Duden für eine «allgemein anerkannte, als verbindlich geltende Regel für das Zusammenleben der Menschen» steht. Kurzum drückt der Begriff Amatonormativität also aus, dass spezifisch die romantische Liebe die Normalität in unserer Gesellschaft ist.

Das Wort geht auf die US-amerikanische Philosophin Elizabeth Brake zurück. Sie wollte einen Begriff, um den von aussen an sie herangetragenen Druck beschreiben zu können, die Ehe in ihrem eigenen Leben zu priorisieren, obwohl sie dies nicht tun wollte. Amatonormativität beinhaltet diesen sozialen Druck, eine Ehe einzugehen, schliesst aber auch den allgemeinen Druck der Romantik mit ein. In ihrem Buch «Minimizing Marriage» definiert sie Amatonormativität konkret als «die weit verbreitete Annahme, dass es jeder/jedem in einer monogamen, romantischen, langfristigen Paarbeziehung besser geht und dass jede Person eine solche Beziehung sucht». Es geht also um die kulturell verankerte Vorstellung, dass jeder Mensch eine*n romantische*n Partner*in will, auf der Suche nach einem solchen ist und von keiner Entscheidung profitieren wird, die etwas anderes impliziert. Es wird angenommen, dass monogame, romantische Beziehungen normal seien, weil sie ein universell geteiltes Ziel darstellen würden. Deswegen sollten sie auch angestrebt und anderen Beziehungstypen vorgezogen werden. 

Eine bedeutsame Folge von Amatonormativität

Der Glaube, dass die Ehe und die partnerschaftliche, romantische Liebe einen besonderen Wert haben, führt allerdings dazu, dass der Wert anderer sozialer Beziehungen übersehen wird. Die Annahme, dass wertvolle Beziehungen monogam oder amourös sein müssen, so Brake, wertet Freundschaften und andere fürsorgliche Beziehungen ab. Auch der Single-Status wird dadurch als ein temporärer Zustand dargestellt, den es möglichst schnell zu überwinden gilt. Amatonormativität zeigt sich dann in Aussagen wie beispielsweise «keine Sorge, du wirst den/die Richtige*n schon noch finden!» oder «fühlst du dich nicht einsam, weil du noch keine*n Partner*in und keine Kinder hast?».

Amatonormativität betrifft uns alle: egal, wer wir sind und was wir wollen. Die Annahme, dass romantische, monogame Liebesbeziehungen die Norm sind, beeinflusst auch heterosexuelle Personen. Diese können sich dazu gedrängt fühlen, exklusive partnerschaftliche Sexualbeziehungen einzugehen und/oder darin zu bleiben – auch wenn derartige Beziehungen ungesund oder teuer für sie sind, oder wenn es einfach nicht das ist, was die Person möchte und braucht. Besonders diskriminierend ist diese kulturelle Vorstellung von einer monogamen, romantischen Beziehung jedoch für Personen aus der LGBTQ+-Community. Für Polyamorist*innen (Personen, die gleichzeitig mehrere Liebesbeziehungen führen) beispielsweise ergibt sich daraus die Schwierigkeit, ihren Lebens- und Liebesstil anderen Menschen zu erklären, welche Polyamorie nicht kennen oder verstehen. Auch Aromantiker*innen (Personen, die keine romantische Anziehung zu anderen verspüren und kein Verlangen oder Interesse an romantischer Interaktion haben) werden durch Amatonormativität stigmatisiert. Ihnen wird das Gefühl gegeben, dass es «falsch» oder «unnatürlich» ist, kein Interesse an romantischer Interaktion zu haben, denn der Wunsch nach einer romantischen Beziehung sei schliesslich «universell». Dies kann zu herabwürdigenden Vorurteilen führen, wie zum Beispiel die Annahme, dass aromantische Personen Bindungs- oder Persönlichkeitsstörungen haben. Die Fähigkeit, sich verlieben zu können, sollte allerdings nicht mit allgemeiner Liebes- und Emotionsfähigkeit verwechselt werden. Aromantiker*innen schätzen durchaus soziale Beziehungen – nur eben nicht romantische, monogame Liebesbeziehungen. 

Zum Schluss nochmals: Amatonormativität betrifft uns alle. Egal ob als Teil der LGBTQ+-Community oder als heterosexuelle Person. Die Vorstellung, dass exklusive romantische Liebesbeziehungen einen besonderen Stellenwert im Leben einnehmen sollen, führt dazu, dass andere soziale Beziehungen übersehen und abgewertet werden. Dabei gibt es diverse Beziehungskategorien, die ebenso wertvoll und wichtig sind (darunter auch beispielsweise die Freundschaft). Das Bewusstsein über Amatonormativität kann helfen, andere soziale Beziehungen nicht aus den Augen zu verlieren – denn es gibt eine Vielzahl an möglichen zwischenmenschlichen Beziehungskonzepten jenseits der romantischen Norm, welche aber, ähnlich wie romantische Partnerschaften, individuell leb- und verhandelbar sind.

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