Ob Weihnachten, Geburtstage, Abschiede oder Einweihungen: Zum guten Ton gehört das Schenken. Für viele scheint die Bescherung allerdings nur eins zu bedeuten: Stress beim Aussuchen der Geschenke – und beim Reagieren auf das Beschenktwerden. Wieso tun wir uns das also an?
Fabio Lüdi, Weltgesellschaft und Weltpolitik
Design: Jasmin Wyss, Gesellschafts- und Kommunikationswissenschaften
Falls ihr euch schon mal gefragt habt, was euch mit dem berühmten Autor Erich Kästner verbindet – es könnte die Abneigung gegen Beschenktwerden sein: «Mir war elende zumute, gleich würde ich lächeln müssen.» Er schrieb das in Erinnerung an seine Kindheit, als sene Eltern mit Geschenken um seine Zuneigung buhlten.
Sich als Beschenkte*r einer herausfordernden Situation gegenüberzusehen, ist allerdings nicht reserviert für die Kindheit berühmter Autoren. Beim Schenken ist «das Gros an Gefühlsarbeit […] auf Seiten des Beschenkten zu leisten», schreibt der Kultursoziologe Gerhard Schmied in seinem Buch «Schenken». Überraschung und Freude müssen mit Intensität und Spontanität zur Schau getragen werden – glaubwürdig. Was für eine Herausforderung. Dazu impliziert das Beschenktwerden Reziprozität: Wer ein Geschenk kriegt, soll auch etwas zurückschenken. Diese «Fesselung», wie es Schmied nennt, führt dazu, dass der/die Beschenkte einen Teil der eigenen Verfügungsgewalt aufgeben muss. Das mögen nicht alle.
Geschenke können also auch eine dunkle Seite haben, vor allem, wenn sie nicht aus Zuneigung, sondern aus Boshaftigkeit erbracht werden. Das hatte schon der Dichter Wilhelm Busch erkannt. Er reimte über drei Tanten, die sich für «Sophiechen» ein Geschenk ausdenken und sich für ein Kleid entscheiden, von dem sie wissen, dass es ihr nicht gefallen wird: «Der dritten Tante war das recht: / Ja, sprach sie, mit gelben Ranken! / Ich weiss, das ärgert sie nicht schlecht / Und muss sich auch noch bedanken».
Dabei hat der oder die Schenker*in nicht weniger Verantwortung zu tragen – auf ihren Schultern lastet vielleicht die gesamte Zukunft eines Verhältnisses. «Geschenke können eine Beziehung begründen», schreibt Schmied. Das geht weit zurück, trafen sich zwei Gruppen, die nicht miteinander kommunizieren konnten, wurden Geschenke ausgetauscht. Das ist für unsere heutige Lebenswelt allerdings nicht mehr ganz so ausschlaggebend.
Die häufigste Funktion des Schenkens ist denn auch das Aufrechterhalten von Beziehungen. Geschenke sind eine Stütze des sozialen Netzes, kleine Gefälligkeiten, die Wertschätzung für das Gegenüber ausdrücken. Und zuweilen auch eine Krücke. Geschenke können Risse in der Freundschaft überbrücken oder gar in die Brüche gegangenen Beziehungen als Wiederbelebungsmassnahmen dienen. Zur Illustration seines Punktes schreckt Schmied auch nicht vor biblischen Ausmassen zurück, buchstäblich: Er führt das Beispiel von Jakob an, der sich mit seinem Zwillingsbruder versöhnen will – und ihm darum einen ganzen Haufen Nutzvieh schenkt. Die Idee ist gut, denn sie funktioniert. Das Beispiel hat für uns heute wohl nur noch inspirierenden Charakter, es sei denn, jemand hat gerade eine Herde Vieh irgendwo rumstehen.
In der Welt des Schenkens und der Geschenke kann es allerdings auch weit martialischer zu und her gehen. Denn Geschenke können nicht nur Beziehungen aufrechterhalten oder flicken, sondern auch über Leben und Tod entscheiden. In Gesellschaften, die Blutrache praktizierten etwa, kann ein Geschenk an die Familie des oder der Getöteten verhindern, dass es zu weiteren Toten kommt. Eine solche Gabe muss laut Schmied allerdings einen beträchtlichen Wert darstellen. Schmied spekuliert, dass auf solche Geschenke der umgangssprachliche Ausdruck «für etwas bluten müssen» zurückgeht.
Das Schenken also – ob unbekümmerter oder sinisterer Natur – mag zwar Stress bedeuten. Allerdings hilft es, das soziale Gefüge zusammenzuhalten. Die Funktion des Schenkens, schreibt Schmied, ist soziologisch gesehen fundamental. Darum: Gehet hin und beschenket eure Lieben und eure Feind*innen. Sie haben es verdient.