Die feinen Linien zwischen Ja und Nein

Format
Kolumne
Lesedauer
3 Minuten
Veröffentlicht am
3. März 2022 im Print

Konsens beim Sex: Was so einfach tönt und gerne als absolut angesehen wird, entpuppt sich in Realität als eine Grauzone, in der viele Menschen überfordert sind, weil sie ihre eigenen Bedürfnisse nicht genau kennen. Dieser Text soll ein Appell sein, sich etwas vertiefter mit Konsensprinzipien auseinanderzusetzen und nebenbei noch besseren Sex zu haben.

Luna Libido
Design: Sonja Wiedmer, Gesellschafts- und Kommunikationswissenschaft und Darline Vainer, Digital Ideation, HSLU

Ursprünglich hat der Begriff Konsens über die BDSM-Kreise Einzug ins Thema Sexualität gehalten. Er gilt dort zusammen mit den Begriffen «sicher und vernünftig» als Grundmoral fürs Ausleben dieser Praktiken. Der Grund dafür liegt nahe: Viele Praktiken enthalten ein gewisses Risiko für die Gesundheit und befinden sich deshalb nahe an strafrechtlichen Tatbeständen. Das Prinzip «safe, sane and consensual» gibt den moralischen Rahmen für die gemeinsame Ausübung diverser Praktiken, indem der Dialog über das gemeinsame Verständnis inhärent gefordert wird. Dazu gehören das Besprechen der roten Linien der involvierten Personen, sowie beispielsweise auch die Festlegung von Safewords, also nichtsexuelle Wörter oder Gesten, die unter anderem zum Abbruch der sexuellen Handlung verwendet werden. Seit einigen Jahren hält insbesondere das Konzept von Konsens – also Einwilligung oder Zustimmung – auch ausserhalb des BDSM Einzug. Das ergibt Sinn, wenn man bedenkt, dass die Emanzipation der Frauen unter anderem zur Subjektifizierung der Frau im Bett geführt hat und diese Frage des Konsens so überhaupt notwendig gemacht hat. In der Schweiz war so bis 1992 Vergewaltigung in der Ehe nicht möglich beziehungsweise nicht strafbar.

Das Prinzip des Konsens sollte aber auch aus anderen Gründen selbstverständlich sein. Wir lernen bereits als Kind den Grundsatz «Nein heisst nein». Mir wurde beigebracht, dass ich jederzeit nein sagen darf und andere Menschen das zu respektieren haben. Leider erfuhr ich aber schnell, dass letzteres keineswegs der Fall war. Dass ein Nein nicht immer als Nein verstanden wird. Gerade als Teenie durchlebt man Situationen, in denen man dermassen überfordert ist mit der Situation, dass man sich im Nachhinein nicht ganz sicher ist, ob das okay war. Diese Zeit dient dazu, ein erstes Mal herauszufinden, was man will und wo die eigenen Grenzen liegen. Das heisst aber nicht, dass die Selbstfindung dann abgeschlossen ist. Im Gegenteil, sie fängt meistens erst dann an. Bei jeder Person, der man begegnet, wieder dasselbe: Herausfinden, was man will, Grenzen setzen, revidieren. 

Das Problem dabei ist, dass je nach Situation und Gefühlslage die eigenen Grenzen auch schnell verschiebbar sind. Das erschwert für viele Personen das Nein-Sagen beziehungsweise das Nein-Verstehen. Ein Nein ist manchmal ein absolutes, manchmal aber auch nur ein vorläufiges oder momentanes. Aus letzterem ergeben sich die Situationen, dass ein Nein nicht immer als Nein verstanden wird; dass Menschen das als Anlass nehmen, Druck auszuüben, um ihren Willen zu bekommen. Sobald ich mich auf diese Diskussion einlassen muss, ziehe ich schnell meine Grenzen und breche manchmal auch das Ganze ab. Das funktioniert für mich besonders bei unverbindlichem Sex oder neu kennengelernten Personen ziemlich gut. Bei Menschen, die ich allerdings gut finde, wird das Nein schwieriger. Dieses sozialisierte «Gefallen-Wollen» macht meinen Überzeugungen manchmal einen Strich durch die Rechnung. Dasselbe erlebe ich in Beziehungen: hier entstehen schnell Ansprüche auf gewisse Praktiken oder es wird erwartet, dass das nun zum Standardrepertoire gehört.

Kommen wir wieder zurück zum Konsens. Die Mehrheit versteht darunter, dass man halt nein sagen muss, wenn man etwas nicht will. Diese Logik impliziert eine Abwehr und muss deshalb von der Person initiiert werden, die nicht will. Der Umkehrschluss legt nahe, dass der Standard oder die Norm also das Ja ist. Wir gehen in diesem Verständnis davon aus, dass alle Personen grundsätzlich einmal alles mitmachen. Das kann ja nicht stimmen. Seit einiger Zeit wende ich daher lieber den Grundsatz «Ja heisst ja» an: Man holt aktiv Zustimmung ein und wartet nicht passiv auf die Ablehnung. Das führt aus eigener Erfahrung erstens zu besserer Kommunikation während dem Sex und zweitens definitiv auch zu besserem und abwechslungsreicherem Sex. Die einfache Frage «Gefällt dir das?» oder auch schon «Was willst du, das ich mit dir mache?» lässt das Gegenüber vieles über die Bedürfnisse, Fantasien und Wünsche der anderen Person erfahren. Dieses Zustimmungsprinzip besteht also nicht aus einer stimmungskillenden Aneinanderkettung von «Darf ich das?» oder gar der Unterzeichnung eines Vertrags (wie gewisse Kreise schlussfolgern),  sondern sollte als Dialog während des Akts verstanden werden. So führt es zu konsensuellem, aktivem Sex vonseiten aller involvierten Personen auf Augenhöhe (und verhindert meistens sogenannte Seesterne, also Personen, die während dem Sex nur still daliegen und sich nicht bewegen).

Das Ja-Prinzip verbessert aber nicht nur mein Sexleben, sondern lässt mich grundsätzlicher über das, was ich will, nachdenken. Das ist anstrengend, führt aber auch dazu, dass ich besser für mein deutliches «Nein» einstehen kann. Und: Ich verstehe auch das «Nein» von meinem Gegenüber besser und hinterfrage es weniger. Und das ist meines Erachtens sehr viel wert.

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