Kaum eine technologische Neuheit schlug in diesem Jahr dermassen hohe Wellen wie sogenannte NFTs. Nachdem das Auktionshaus Christie’s eine Collage des Digitalkünstlers Beeple für schwindelerregende 69.3 Millionen US-Dollar versteigerte, wurde der Welt allmählich bewusst, dass hier etwas geschieht. Auf der NFT-Handelsplattform OpenSea.io werden Millionen von US-Dollar in Form der Kryptowährung Ether (ETH) ausgegeben, um digitale Bilder zu kaufen. Doch wieso geben Menschen ein Vermögen aus, um JPEGs ihr Eigen nennen zu dürfen? Jede*r kann doch die Bilddateien einfach herunterladen und sie auf der eigenen Festplatte abspeichern, oder?
Mirko Dimitrijevic, Philosophie
Design: Sonja Wiedmer, Gesellschafts- und Kommunikationswissenschaften
Was ist ein NFT?
NFTs (Non-Fungible-Tokens) sind digitale Inhalte, die mit der Blockchain verknüpft sind. Diese ist eine digitale und öffentlich einsehbare Datenbank, die Kryptowährungen wie Bitcoin und Ethereum zugrunde liegt. Im Falle von NFTs wird in der Regel die Ethereum-Blockchain mit der ihr eigenen Kryptowährung Ether verwendet, sie trägt den Börsenticker ETH. Man kann sich das als sehr lange Kette von Blöcken, die miteinander verbunden sind, vorstellen. Dabei sind alle Informationen über jeden Block allen Mitgliedern des Blockchain-Netzwerks bekannt. Da jedes Mitglied des Netzwerks dieselben Kenntnisse über die Blockchain hat, die wie ein elektronisches Hauptbuch funktioniert, kann ein dezentraler Konsens über den Status der Blockchain geschaffen und aufrechterhalten werden. Das heisst schliesslich, dass die Ethereum-Blockchain nicht von einer zentralen Datenbank aus verwaltet wird, sondern jede*r mit der nötigen technischen Ausstattung von zu Hause aus Teil des Netzwerks werden kann.
Im Gegensatz zu NFTs sind Vermögenswerte wie Ethereum, Bitcoin oder der US-Dollar fungibel. Das heisst, sie können durch andere identische Vermögenswerte desselben Wertes ersetzt oder umgetauscht werden, ähnlich wie eine 100-Franken-Banknote. Gemäss Duden bedeutet Fungibilität die Ersetzbarkeit oder Austauschbarkeit eines Objektes für ein anderes.
Eine wichtige Beobachtung ist, dass die wenigsten Dinge im Leben fungibel sind. Blickt man um sich, ist die Welt voller nicht-fungibler Dinge: Das Velo, das man fährt, die Wohnung, die man bewohnt, der oder die Partner*in, mit dem oder der man das Leben teilt, den Hund, den man abends rausbringt. All das sind nicht-fungible Dinge.
Fungible Gegenstände begegnen uns meistens bei finanziellen Angelegenheiten. Möchte ich mir Aktien des Unternehmens Alphabet kaufen, so ist es mir egal, welche Aktien im Einzelnen ich erhalte, sie sind stets gleichwertig wie alle anderen Alphabet-Aktien. Dasselbe gilt beim Einkauf in der Migros: Ob ich das Gipfeli mit der einen oder anderen Ein-Franken-Münze bezahle, interessiert die Person an der Kasse nicht, wichtig ist, dass ich ihr irgendeine von der SNB herausgegebene Ein-Franken-Münze gebe. Nach demselben Prinzip funktionieren Kryptowährungen wie Ether oder Bitcoin und Tokens auf der Blockchain wie UNI oder LINK.
Genau betrachtet sind auch Banknoten, Münzen und Aktienscheine nicht-fungibel. Sie haben entweder eine Nummerierung oder ein Prägungsdatum und unterscheiden sich somit von allen anderen, in ihrer Funktion gleichen Gegenständen. Doch wir als Gesellschaft haben entschieden, diese Gegenstände als fungibel anzusehen, zumindest in der ihnen zugewiesenen spezifischen Funktion. Fragt man einen Münzsammler, so wird dieser eine andere Perspektive auf die Fungibilität der Münze haben als der Billettautomat der SBB.
NFTs sind einzigartig und nicht untereinander austauschbar, was bedeutet, dass keine zwei NFTs jemals gleich sind. Man denke an Sammelobjekte wie seltene Münzen oder Sneaker in limitierter Auflage: NFTs schaffen eine Verknappung eines Gutes unter ansonsten unbegrenzt verfügbaren Gütern – zudem gibt es sogar ein Echtheitszertifikat, um dies zu beweisen. NFTs werden in der Regel zum Kauf und Verkauf digitaler Kunstwerke verwendet und können die Form von JPEGs, GIFs, Tweets, virtuellen Sammelkarten, Bildern physischer Objekte, Videospiel-Skins, virtuellen Immobilien und mehr annehmen.
Echtheit und wieso man Blockchain verwendet
Jemand wird sich fragen: Wie wird die Echtheit des NFTs verifiziert?
Die Echtheit eines NFTs wird auf der Blockchain verifiziert. Dafür kann man online verfügbare Tools wie Etherscan.io verwenden, wo die auf der Ethereum-Blockchain verfügbaren Daten abgebildet werden.
Die Kollektion des «Bored Ape Yacht Club» beispielsweise, in NFT-Kreisen auch als «BAYC» bezeichnet, beinhaltet 10’000 einzigartige Bilder von gelangweilten Affen in Comic-Ästhetik. Das teuerste NFT dieser Kollektion wurde am 30. September 2021 für 769 ETH gehandelt, was zu jenem Zeitpunkt einem Wert von 2.3 Millionen US-Dollar entsprach.
Wichtig zu wissen ist, dass hier nicht das Bild des besagten Affen gekauft wurde, sondern lediglich das Token Bored Ape Yacht Club #2087. Alles was gekauft, verkauft oder in der digitalen Brieftasche (dem Wallet) gelagert wird, sind lediglich Tokens, nicht mehr und nicht weniger. Und wo ist die Kunst, wo sind die Bilder?
Tokens können alles Mögliche repräsentieren, nicht nur Kunst. Zum Beispiel könnte man UNILU-Tokens erstellen und jede Person, die sich im Besitz eines solchen Tokens befindet, wird als Studierende*r der Universität Luzern erkannt, verifiziert über die Blockchain.
Zurück zu den Affen. Jede*r einzelne kann also überprüfen, ob es sich beim gehandelten NFT um eines aus einer bestimmten Kollektion handelt. Doch wie weiss man, dass genau diese spezifischen Tokens, die auf diesem spezifischen Smart Contract auf Ethereum hinterlegt sind, die wahren Affen und nicht etwa Kopien ebendieser repräsentieren? Ganz einfach: Weil die Personen, die hinter dem Bored Ape Yacht Club stehen, also die Künstler*innen, es so sagen. Mehr braucht es nicht. Wenn ich eine Museumsdirektorin frage, woher sie wisse, dass es sich um ein echtes Kunstwerk handelt, dann verweist sie auf eine Unterschrift. Doch woher weiss ich, dass die Unterschrift echt ist? Irgendwann wird sie sagen, dass es sich um eine weltweit bekannte Galerie handelt und sie darauf ihre Legitimität gründen. So lässt sich schnell erkennen, dass bei NFTs viel effizienter eine abschliessende Bestimmung der Echtheit eines Kunstwerks erfolgen kann.
Und wo ist das Kunstwerk, wenn man nur das Token kauft?
Ein NFT hat einen URI (Uniform Resource Identifier), gedanklich kann man sich das als URL einer Website vorstellen. In der am meisten zentralisierten Variante eines NFTs wird diese URL auf die Website einer Person mit einem Bild der Kunst verweisen. Kauft man also nur eine URL? Nein, man kauft ein Kunstwerk und das Token ist das dazugehörige Echtheitszertifikat.
Wenn die Website, auf die die URL verweist, vom Netz genommen wird, wird es auch für das NFT schwierig. Jedoch nur für unbekannte NFTs, die etablierten werden weiterhin erkannt, da die Vertragsadresse des spezifischen Smart Contracts mittlerweile bekannt ist.
Hier bieten sich dezentrale Datenablagesysteme wie IPFS, das InterPlanetary File System an. So kann die Langlebigkeit von NFTs garantiert werden, ohne sich darauf verlassen zu müssen, dass eine Website in alle Ewigkeit gepflegt wird. Diese Datenablage basiert auf dezentral verteilten Servern auf der ganzen Welt und kann daher zum Beispiel von einer Zentralregierung nicht abgeschaltet werden.
Schlaue werden sich denken: Ich speichere das Bild einfach auf der Festplatte ab
Das Bild einfach abspeichern zu wollen, ist in etwa so raffiniert wie bei IKEA das Bild der Mona Lisa für Fr. 59.95 zu kaufen und dann zu behaupten, man besässe die Mona Lisa. Ist sie trotzdem noch Eigentum des Louvre in Paris? Die Antwort ist klar: Der gesellschaftliche Konsens wird nach wie vor besagen, dass das Original des Gemäldes von Leonardo da Vinci im Louvre ausgestellt ist. Also geht es um die Verifizierbarkeit der Eigentümerschaft und Legitimität, oder einfacher gesagt: Dem gespeicherten JPEG oder der Mona Lisa bei IKEA wird höchstens ein marginaler Wert zugeschrieben.
Und wenn man welche kaufen will?
Grundsätzlich kann jedes digitale Bild als NFT gekauft werden. Allerdings gibt es beim Kauf einige Dinge zu beachten, insbesondere wenn man ein Neuling ist. Zunächst sollte man entscheiden, welches NFT man möchte und wo dieses gehandelt wird. Wichtig ist auch zu wissen, welche Art von Wallet man verwenden möchte (in der Regel ist ein Hardware-Wallet am sichersten) und welche Art von Kryptowährung man für den Kauf benötigt. Achtet aber auf die Gebühren. Die Verwendung der Ethereum-Blockchain kostet eine «Gas»-Gebühr, das ist die für die Durchführung der Transaktion auf der Blockchain erforderliche Energie. Andere Gebühren können die Kosten für die Konvertierung von Dollar in ETH (die am häufigsten für den Kauf von NFTs verwendete Währung) und Abschlusskosten umfassen. Und das Wichtigste: Immer überprüfen, ob es sich um ein Original handelt, sonst kann man auch gleich einfach das JPEG auf der Festplatte abspeichern und sich die ganze Mühe sparen.