Solarpunk steht in Zeiten von Klimakrise und existentiellen Bedrohungen für eine hoffnungsvolle, grüne und solidarische Zukunft. Kann man sich so etwas trotz climate anxiety überhaupt vorstellen – oder gerade deshalb?
Reto Walpen, Philosophy, Politics and Economics
Träumen kann man immer. Auch in Zeiten von ökologischen Krisen und globaler Ungerechtigkeit. Und in den Communities, welche sich Solarpunk verschrieben haben, wird nicht zu wenig geträumt. Sei es online, wie auf dem Subreddit r/solarpunk oder offline in Gemeinschaftsgärten, in Kooperativen und Repair Cafés. Es wird geträumt von einer gerechteren, nachhaltigeren und schöneren Zukunft, in welcher wir gerade noch die Kurve gekriegt haben und das Klima unter Kontrolle bringen konnten. Von einer Zukunft, in welcher wir untereinander, aber auch mit der Natur in Einklang leben können. Und von einer Zukunft, in welcher wir auch auf moderne Technologie nicht verzichten müssen.
Grüne Städte, futuristische Landschaft
Diese Träume umfassen enorm breite und weitreichende Themengebiete, welche alle durch eine optimistische, grüne Zukunftsvision verbunden sind: Moderne und nachhaltige Architektur, solidarische Landwirtschaft, DIY, ein bewusstes Zusammenleben, und alles angetrieben durch erneuerbare Energien. Daher wenig überraschend der erste Teil des Namens: Solarpunk.
Bilder von grünen Städten voller bepflanzter Balkone und landschaftlicher Idylle kombiniert mit futuristischen Technologien sind derweil oft das erste, das man sieht, wenn man Solarpunk neu für sich entdeckt. Dies dürfte einer der Gründe für die schnelle Verbreitung sein, welche das Kunstgenre Solarpunk in den letzten Jahren erfährt. Denn wer findet eine Fusion von modernen, lebhaften Städten und grüner Natur, welche direkt aus einem Ghibli-Film stammen könnte, schon nicht absolut bezaubernd? Künstler*innen wie Imperial Boy, Jessica Woulfe oder Rita Fei wissen das nur zu gut.
Auch in der Literatur verbreitet sich Solarpunk. So schrieb der amerikanische Schriftsteller Kim Stanley Robinson schon Jahre bevor sich das Genre begründete über nahe Zukunftsvisionen, in welchen die Klimakrise das Leben der gesamten Menschheit zwar auf den Kopf stellte, diese sich jedoch an die neue Realität anpassen und ihre Gesellschaft entsprechend weiterentwickeln konnte. Science-Fiction, die beispielsweise in seinem neuesten Roman The Ministry for the Future gar nicht so weit hergeholt scheint. Nachträglich wurden daher viele seiner Werke auf Solarpunk-Leselisten aufgenommen, welche stets weiterwachsen.
Vom Genre zur Bewegung
Der Begriff “Solarpunk” erschien zum ersten Mal 2008 in einem Blog. Damals wurde es primär als literarisches Genre beschrieben. Jedoch war bereits hier klar, dass eine solche Vision mehr als reine Fiktion, sondern tatsächlich erreichbar und wünschenswert ist. Politisches und soziales Engagement sind dementsprechend seit Beginn ein zentraler Aspekt von Solarpunk. So wurde schon mit den ersten Zeilen, die jemals in dessen Namen geschrieben wurden, aus einem reinen Genre eine Bewegung.
Vier Jahre später erschienen die ersten Sammelbände mit Geschichten, und 2014 erste Versuche hin zu einem Manifest. Das Motto: “Wir sind Solarpunks, weil die einzigen anderen Optionen Leugnung oder Verzweiflung sind.” Seither wurde die Verschmelzung von Ästhetik und dem Dasein als sozialer und politischer Bewegung ständig weiterentwickelt.
In einem später erschienenen Blogpost wurde der Kern von Solarpunk entsprechend zusammengefasst als “eine Vision der Zukunft, welche das Beste verkörpert, was die Menschheit erreichen kann: eine postknappe, posthierarchische, postkapitalistische Welt, in der sich die Menschheit als Teil der Natur sieht und saubere Energie fossile Brennstoffe ersetzt.” Wer pessimistisch und ohne viel Zuversicht in die Zukunft schaut, findet also ein hoffnungsvolles Gegenstück zu den immer düsterer wirkenden Aussichten von IPCC-Berichten und Newsartikeln über die schier unaufhaltsame Zerstörung des Planeten.
Putting the Punk in Solarpunk
Dass sich die Ziele von Solarpunk kaum mit den aktuellen politischen und gesellschaftlichen Realitäten vereinen lassen, dürfte klar sein. Daher stammt der zweite Teil des Namens: Solarpunk. Die Welt bewegt sich in eine unheimliche, gefährliche Richtung. Solarpunks wollen da nicht mitmachen. Nicht nur Windfarmen und urbane Grünflächen definieren die Bewegung, sondern auch Widerstand, Autonomie, und eine Prise Revolution.
Trotz der blendenden Ästhetik und der Aneignung des Stils durch zahlreiche Akteure, beispielsweise durch eine amerikanische Joghurtmarke, bleibt Solarpunk im Kern eine radikale, antikapitalistische Antwort auf die grösste Krise unserer Zeit. Denn solange Profite im Zentrum einer Gesellschaftsordnung stehen, können weder das Wohl der Menschen noch das der Natur diesen Platz besetzen.
Luxuriöse, unbezahlbare Penthouses mit bepflanzten Balkonen entsprechen keineswegs den Idealen von Solarpunk, wenn in derselben Nachbarschaft Menschen in Armut leben. Egal, wie grün die Balkone sind, der Mensch steht immer im Zentrum. Oder wie es Jay Springett von solarpunks.net ausdrückt: “Wenn du ein ökofuturistisches Bild anschaust und keine Leute darin siehst, ist es nicht Solarpunk.”
Solarpunks sehen sich daher als Pioniere. Der Fokus liegt nicht primär auf Kämpfen in der institutionellen Politik, sondern bei sich Zuhause und in der Öffentlichkeit. Die eine Sorte des Solarpunk-Aktivismus sucht man vergebens. Man findet Wege dazu im Gemeinschaftsgarten, im Repair Café, auf der Strasse, oder im so genannten MakerSpace, einer Art offener Werkstatt – wo auch immer man nachhaltig etwas für lokale Communities tun kann.
Die Zukunftsvision soll nicht nur erzählt, sondern auch vorgelebt werden. Man will sie schliesslich noch zu Lebzeiten realisiert sehen.