Na, den Titel verstanden? Falls nicht, halb so wild. Die Plansprache mit dem klingenden Namen Esperanto kann jede und jeder ganz einfach lernen – egal, ob man nun ein Flair für Sprachen hat oder nicht. Falls ja, dann gratulon! Du verstehst eine Sprache, welche zwar nur eine Handvoll Muttersprachler*innen hat, welche aber nichtsdestotrotz von abertausenden Menschen auf der ganzen Welt gesprochen wird! Was hat es mit solch einer Sprache auf sich?
Reto Walpen, Philosophy, Politics and Economics
Vor Jahrtausenden sollen alle Menschen dieselbe Sprache gesprochen haben – bis sie zu hochmütig wurden, sich Gott gleichstellen wollten und dieser seinen Platz verteidigte, indem er für die grosse Sprachverwirrung sorgte. Das Menschheitsprojekt, einen Turm in den Himmel zu bauen, fand daraufhin bald sein Ende – man verstand sich nicht mehr. So versucht jedenfalls die Bibel zu erklären, weshalb wir Menschen heute unzählige verschiedene Sprachen sprechen.
Ob sich bis zum Turmbau zu Babel nun wirklich alle Menschen in derselben Sprache unterhalten konnten, sei einmal dahingestellt. Fakt ist jedoch, dass wir dieses Privileg heutzutage nicht geniessen. Die grosse Sprachverwirrung ist Tatsache. Denn auch wenn Englisch immer häufiger als Lingua Franca zu dienen vermag, dürften wir wohl alle von oft etwas älteren Verwandten oder Bekannten berichten können, deren Englisch nicht gerade the yellow of the egg ist. Missverständnisse sind in vielen Situationen vorprogrammiert.
Dies wollte Ludwik Lejzer Zamenhof Ende des 19. Jahrhunderts nicht einfach so hinnehmen. Er entschloss sich deshalb, von Grund auf eine neue Sprache zu entwickeln: Esperanto, die Sprache der Hoffenden, sollte für alle Menschen möglichst einfach erlernbar und verständlich sein und so als neutrale Sprache dienen, Grenzen überwinden und Völker verbinden.
Nur dek-ses reguloj
Eine Sprache darf nicht zu komplex sein, damit sie einfach verstanden und erlernt werden kann. Daher hat die esperantistische Grammatik nicht mehr als 16 Regeln: Nomen enden beispielsweise auf -o, deren Plural bildet man mit der Endung -j. Verben bleiben unabhängig von Zahl und Person gleich. Ausnahmen gibt es keine. Ein Trauma à la Französischunterricht bleibt beim Lernen also erspart.
Wer sich in einer germanischen oder romanischen Sprache zu verständigen weiss, wird auch beim Vokabular kaum auf grosse Schwierigkeiten treffen. Denn es entstammt grösstenteils den romanischen Sprachen, dem Deutschen und Englischen. Aber auch Einflüsse aus dem Griechischen oder aus slawischen Sprachen lassen sich finden.
Begriffe wie hundo oder birdo sind dabei unschwer als direkt der deutschen oder englischen Sprache entlehnt zu erkennen. Stundenlanges Büffeln wird also fast überflüssig.
Esperantista Kulturo vivas
Trotz, oder vielleicht sogar wegen der beschränkten Anzahl Regeln ist das Potential von Esperanto genau so grenzenlos wie die Welt, die sich Begründer Zamenhof erträumte. Diese halten die Esperantist*innen, oder esperantistoj, wie sie sich selbst nennen, nicht davon ab, in ihrer Sprache zu dichten, zu singen oder zu schreiben. Ganze Musikalben, Bücher wie die Bibel bis hin zu den Harry-Potter-Romanen und – in der heutigen Zeit wohl kaum erstaunlich – unzählige Memes auf allen Plattformen: Alles findet sich unschwer auf Esperanto, was bei bis zu zwei Millionen Sprecher*innen und sogar um die 1000 Muttersprachler*innen wohl kaum erstaunt.
Gelebt wird diese Kultur unter anderem an den jährlich stattfindenden Esperanto-Weltkongressen. Neben Vorträgen und internen Tagungen werden während dieser Kongresse Bücher vorgestellt, Theater aufgeführt, Konzerte gespielt und vieles mehr. Alles in einer Sprache, die im Alltag sonst kaum Verbreitung findet.
Doch muss man nicht gleich an einen Kongress in eine weit entfernte Stadt reisen, um ein einziges Mal im Jahr Esperanto sprechen zu können. Auch in mehreren Schweizer Städten treffen sich regelmässig Esperantist*innen zu Filmabenden oder gemütlich in Bars um ihr Hobby, ihre Kultur und ihre Sprache zu pflegen, wobei auch Anfänger*innen stets willkommen sind.
Seksista kaj eŭrocentra?
Trotz der blühenden Kultur, welche sich dank Lernplattformen wie Duolingo wachsender Popularität erfreut, wird Esperanto häufig auch kritisiert: So ist der Plan, als internationale Sprache zu fungieren, bisher klar gescheitert. Englisch eroberte in den vergangenen Jahrzehnten die Welt – ohne sonderlich einfach oder neutral zu sein.
Auch der Aufbau der Sprache selbst sei auf vielerlei Arten problematisch. So wird die Sprache oft als eurozentrisch kritisiert, basiert der Wortschatz doch fast vollständig auf europäischen Sprachen. Für Nicht-Europäer*innnen sei Esperanto daher überhaupt nicht so einfach zu erlernen, wie es den Anspruch hat. Neutral, also für alle Menschen der Welt in gleichem Masse zugänglich, sei Esperanto daher keineswegs.
Nicht zuletzt hat die Sprache zudem mit Vorwürfen von Sexismus zu kämpfen. So ist beispielsweise bei Verwandtschaftsbezeichnungen die Grundform stets die männliche Form: Der Vater ist der patro, die Mutter die patrino. Die weibliche Form wird durch das Suffix -in von der männlichen abgeleitet. Ähnlich sieht es bei Berufsbezeichnungen aus: Auch wenn die Grundformen nicht per se männlich definiert sind, sind sie stets männlich konnotiert, da bei Frauen wiederum das Suffix -in hinzugefügt werden würde. Ein instruisto ist daher nicht zwangsläufig ein männlicher Lehrer, doch ist gleichzeitig klar, dass bestimmt auch keine Lehrerin gemeint ist – sonst wäre es schliesslich eine instruistino.
Bemühungen, diese Asymmetrie zu beheben, beispielsweise mit einem spezifischen männlichen Suffix oder Formulierungen wie vir-instruisto (Mann-Lehrer), nahmen bisher kaum Fahrt auf.
Pontoj ĉirkaŭ la mondo
Werden sich Menschen dank der bald allen gemeinsamen Sprache Esperanto also in absehbarer Zukunft wieder zu einem solch grossen Projekt wie zum Turmbau zu Babel zusammenfinden? Wohl kaum. Nichtsdestotrotz bemühen sich Esperantist*innen, weltumspannende Monumente zu bauen – auch wenn es sich dabei nur um metaphorische Brücken handelt: Dank dem pasporta servo, dem «Passdienst», ist es Esperantosprechenden nämlich möglich, auf Reisen auf allen Kontinenten eine kostenlose Unterkunft bei Gleichgesinnten zu finden. Von Kanada bis nach Südafrika und von Japan bis nach Argentinien sind Gastfreundschaft und Gespräche in der gemeinsamen Sprache all inclusive.
Obwohl Zamenhofs grosses Ziel also wahrscheinlich noch lange nicht erreicht ist: Grenzen überwunden und Menschen verbunden hat sein Werk schon heute allemal.