Corona macht uns allen irgendwie einen Strich durch die Rechnung – so auch in der sozialwissenschaftlichen Forschung. Zu diesem Anlass unterhielt sich Lumos mit Joy Amendola über ihre eigene Feldforschung zur Einführung von Computern in der Schweizer Landwirtschaft.
Kendra Bätscher, Weltgesellschaft und Weltpolitik
Bereits seit einem Jahr ist die Coronapandemie allgegenwärtig. Das beeinflusst nicht nur unser Sozialleben, sondern auch die sozialwissenschaftliche Forschung. Vor allem Disziplinen mit qualitativer Datenerhebung, wie die Ethnologie, Soziologie oder Geschichte sind davon betroffen. Sie sind auf persönliche Gespräche und geöffnete Bibliotheken mit deren wertvollen Archiven angewiesen. Im Zuge der Pandemie sah sich die Universität Luzern aber gezwungen, Studierende von Leseräumen und Bibliotheken zu verbannen, Exkursionen in ferne Länder abzusagen und Forschungsmöglichkeiten massiv einzuschränken. Feldforschung im klassischen Sinne erscheint in diesem Licht aussichtslos und es bleibt nur der Rückzug auf digitale Mittel.
Forschen trotz Corona – das geht!
Aber das stimmt so natürlich nicht ganz. Auch wenn wir alle eingeschränkt sind, wird fleissig weiter geforscht. Um das zu verdeutlichen unterhielt sich Lumos mit Joy Amendola, einer Studentin der Unilu, die während der Pandemie zur Einführung von Computern auf Schweizer Bauernhöfen forschte. Den Anstoss dazu lieferte das Seminar von Daniel Speich Chassé zur Einführung des Personal Computers in der Schweiz. Joy selbst ist ein selbsterklärtes Landei, ging mit Landwirtskindern zur Schule und verbrachte ihre Spielkastenzeit zu Besuch auf Bauernhöfen. So dachte sie sich: «Wieso nicht direkt vor der eigenen Haustür forschen?» Sie mobilisierte ihr Netzwerk und kam relativ leicht in Kontakt mit Landwirt*innen. Coronakonform führte sie Interviews im Freien, wurde auf Bauernhöfen herumgeführt und rief bei Schweizer Landwirtschaftsämtern an.
Joy war überrascht, wie hilfsbereit und erfreut Landwirt*innen und Ämter zugleich ihren Anfragen nachkamen. «Erst durch die Forschung wurde mir bewusst, mit wie vielen digitalen Aufgaben Bäuer*innen im Alltag überhaupt konfrontiert werden. Das war mir total fremd», gestand sie. Einzig der Zugang zum Archiv blieb ihr coronabedingt verwehrt. Aber da es sich um eine erste Grundlagenforschung handelte und sie ihre Informationen direkt bei den Betroffenen einholen konnte, war das nicht mal so schlimm. «Das interessante an dem Thema ist ja, dass es wenig Forschung dazu gibt und das, obwohl der Computer und die Digitalisierung heute im Alltag nicht mehr wegzudenken sind», erklärt sie. Mit dieser Forschungslücke im Hinterkopf hiess es für Joy also ab ins Feld und das Thema aus erster Hand erforschen!
Der digitale Switch in der Landwirtschaft – erste Erkenntnisse aus dem Feld
Joy berichtet, wie das Thema extrem komplex ist. Die Einführung von Computern in der Landwirtschaft hat mit der Agrarpolitik, der Globalisierung, dem technischen Fortschritt und vielem mehr zu tun. Interessant ist, dass bereits im Jahr 1975 in Bauernzeitungen vom Computer die Rede war. Im Gespräch mit Landwirt*innen hat sich aber gezeigt, dass dieser erst in den 1990er und 2000er-Jahren vermehrt verwendet wurde. Denn lange wurde in der Landwirtschaft kein Mehrwert im Computer gesehen und so lohnte sich die Investition nicht. Joy beschreibt, wie viele Bäuer*innen selbst lieber draussen mit den eigenen Händen arbeiten. Administrative Aufgaben und stundenlanges Sitzen vor dem Screen gehören nicht zur Traumjobbeschreibung der meisten Landwirt*innen. Nichtsdestotrotz ist der Computer heute auf dem Bauernhof nicht mehr wegzudenken. Wie kam es dazu?
Um unter anderem Subventionen vom Bund zu erhalten und Nachhaltigkeitskriterien transparent darzulegen, müssen Bäuer*innen extrem viele Daten festhalten. Was früher noch von Hand geschrieben wurde, muss heute digital erfasst werden. Diese Umstellung fand etappenweise statt. Heute gibt es die Onlineplattform «agate», die alle Datenerfassungssysteme miteinander kombiniert und so als «Onlineschalter» fungiert. Spannend ist, dass meist Frauen für digitale Eingaben am Computer zuständig sind. Männer beschreiben, wie ihre Hände zu grob für diese «kleinen Tasten» seien.
Der Wechsel zur Arbeit mit dem Computer ist zusätzlich auf einen Generationenwechsel zurückzuführen. Viele heutige Landwirt*innen waren in den 1980er-Jahren in der Schule und kamen dort mit dem Computer erstmals in Kontakt. Als sie dann in den 1990er-Jahren den Hof ihrer Eltern übernahmen, integrierten sie diesen aktiv in ihre Arbeit ein. Ihre Kinder wiederum sind so bereits mit dem Laptop aufgewachsen und kennen den Hof nicht ohne. Die «Zwischengeneration» nimmt also eine Schlüsselfunktion ein. Joy beschreibt das folgendermassen: «Jetzt ist der Zeitpunkt richtig, die Einführung des Computers in der Landwirtschaft zu erforschen. Denn die Zwischengeneration, die den Wandel mitgemacht hat und den Hof mit und ohne Computer kennt, ist jetzt noch da. Beim nächsten Generationenwechsel gehen diese Informationen verloren und es kann nicht mehr erforscht werden. Es ist also wichtig, dass man das jetzt angeht.»
Digitaler Fortschritt mit sozialen Folgen
Mit dem Computer kamen auch diverse andere technologische Veränderungen auf den Hof. So gibt es zum Beispiel Halsbänder, die den Gesundheitszustand der Kühe messen und diesen direkt an die Bäuerin oder den Bauern weiterleiten. Auch Technologien, die das Düngen nachhaltiger und effizienter gestalten, sind anzutreffen. Diese digitalen und technischen Hilfsmittel sind eine grosse Unterstützung im Alltag. Das bedeutet jedoch auch mehr Arbeit zu Hause vor dem Bildschirm. Das kann zum Beispiel zum Verlust von kulturellen Praktiken, wie dem gemeinsamen Heuen führen. Das traditionelle Bild einer Landwirtin oder eines Landwirten hat sich mit der Einführung des Computers also deutlich verändert. Auch wenn sich viele Bäuer*innen die Zeit ihrer Grosseltern vor der Einführung des Computers und dem bürokratischen Aufwand zurückwünschen, sind sie heute fester Bestandteil ihrer Arbeit und nicht mehr wegzudenken. Die Forschung von Joy hat hier erst die Grundzüge aufgedeckt. Wir sind gespannt, welche Erkenntnisse die Sozialwissenschaften hierzu noch liefern.