Schweizerdeutsch, Mundart, Dialekt: Alles Einerlei?

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Bericht
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4 Minuten
Veröffentlicht am
1. März 2021 im Print

Die Schweizer Mundart ist so vielseitig wie die Menschen, die hier leben. Es gibt Wörter, die kaum ins Hochdeutsche zu übersetzen sind und die sehr spezifische Dinge benennen. Gleichzeitig schleichen sich immer mehr deutsche und englische Ausdrücke in unsere Sprache und verändern sie. Warum benutzen wir so viele Germanismen und wieso gehört der Berner Dialekt zu den schönsten in der Schweiz? 

Leonie Herde, Kulturwissenschaften
Illustration: Laura Kneisel, Kulturwissenschaften

Die verschiedenen Schweizer Dialekte sind oftmals so unterschiedlich, dass ein Basler Mühe hat eine Walliserin zu verstehen oder der Zürcher sich über so manchen Berndeutschen Ausdruck wundert. Was jedoch alle gemeinsam haben, ist der Einfluss von deutschen und englischen Wörtern. Seit einiger Zeit entwickelt sich unsere Mundart rasant. Viele Mundartwörter werden von Germanismen oder Anglizismen verdrängt. So sagt man zum Beispiel «nackt» statt «blutt» oder «Pferd» statt «Ross» und Wörter wie «Tschalpi», «Galööri» oder «Gwaggli» werden allesamt zu «Idiot».

Es ist normal, dass sich eine Sprache mit der Zeit weiterentwickelt, sagt SRF-Mundartexperte André Perler in einem seiner Beiträge. So werden Wörter, die Dinge bezeichnen, die es nicht mehr gibt, oder die nicht mehr gebraucht werden, vergessen. Dafür werden Wörter für neue Dinge in den Wortschatz aufgenommen. So haben beispielsweise «Laptop» und «iPhone» den «Walkman» ersetzt. Gerade in der Pandemiezeit wurden auch im Schweizerdeutsch viele hochdeutsche und englische Begriffe übernommen, um neue Phänomene zu bezeichnen.

Die ganze Welt im Schweizerdeutsch

Viele Wörter aus dem Englischen wurden von uns so gut ans Schweizerdeutsche angepasst, dass man sogar vergisst, dass sie aus dem Englischen stammen. So sprechen wir beispielsweise vom Fussball spielen als «Tschutte», ohne an «to shoot» zu denken. Und das englische Wort «computer» wurde zum «Kompi» und wenn wir diesen bedienen, sagen manche sogar «kompiüterle». Auch «Töperwär», «Schöttlbus» oder «Brönsch» sind solche Beispiele. Auch aus dem Französischen haben wir viele Wörter übernommen, zum Beispiel «Perron», «Velo» oder «Trottoir». 

Dieser Einfluss des Englischen, Französischen oder Hochdeutschen wird immer stärker. Dies hat viele Gründe. Einerseits ist die Schweizerdeutsch sprechende Bevölkerung seit dem zweiten Weltkrieg von klein auf viel mehr in Kontakt mit Hochdeutsch. Sie ist mobiler und trifft vermehrt auf Menschen, die Mundart oder auch Deutsch nicht verstehen.

Auch die sozialen Medien verstärken dies. Bereits Kinder schauen YouTube-Videos und Filme auf Hochdeutsch oder sogar Englisch. Ausserdem wird auch unser Fachwortschatz immer grösser und Fachwörter sind oft in Hochdeutsch oder Englisch. Gleichzeitig schreiben wir, zum Beispiel in SMS, mehr Mundart als früher. So verschwimmt die Grenze zwischen Hochdeutsch und Mundart immer mehr. 

Schweizerdeutsch in der ganzen Welt

Auf der anderen Seite gibt es schweizerdeutsche Wörter, die man bis weit über die Schweizer Grenze hinaus kennt. Das bekannteste ist wahrscheinlich das Wort «Putsch», welches einen Sturz der Regierung bezeichnet. Das Wort stammt aus dem Schweizerdeutschen und wurde bekannt durch den Züriputsch von 1839. Damals wurde die liberale Regierung in Zürich von der konservativen Opposition gestürzt. Durch die Berichterstattung wurde das Wort auch in anderen Teilen der Welt bekannt und wird heute in den unterschiedlichsten Sprachen für einen Staatsstreich benutzt. 

Schweizerdeutsche Wörter sind meistens sehr treffgenau und können gleichzeitig vielseitig eingesetzt werden. So kann das Wort «Chaib» oder auch «Chog» als Schimpfwort benutzt werden, wie «Saucheib» oder «fuule Chog», als Verb für davonrennen, «devo cheibe» oder als verstärkendes Adjektiv wie etwa «choge guet» oder «cheibe schön». Es gibt sogar feste Ausdrücke wie «en Cheib ha», das bedeutet betrunken sein, oder «alles Cheibs» als Ausdruck für alles Mögliche. Im Mittelalter bezeichnete das Wort gemäss Idiotikon jedoch einen Kadaver, einen Leichnam oder eine Tierseuche.

Niemand mag Thurgauerdeutsch

Wie gesagt unterscheiden sich die Wörter von Dialekt zu Dialekt. So etwa das Kerngehäuse des Apfels. Es gibt «Bitzgi» (Ostschweiz), «Gütschi» (Glarus), «Bätzgi» (Luzern), «Gröibschi» (Bern) und noch viele mehr. Auch für das erste oder letzte Stück des Brotes gibt es die unterschiedlichsten Bezeichnungen. 

Wie kommt es aber, dass der Thurgauer Dialekt von den meisten Schweizer*innen als der am wenigsten schöne und Berner, Bündner oder Walliser als die schönsten Dialekte gewertet werden? André Perler erklärt das mit den Erinnerungen und Vorstellungen, die man von diesen Kantonen und Menschen habe. So finde man den Bündner Dialekt vielleicht schön, weil man gute Erinnerungen an Winterferien hat oder man möge den Berner Dialekt, weil die Menschen so gemütlich und freundlich zu sein scheinen. Ausserdem sei der Berner Dialekt in vielen Mundartliedern oder Filmen sehr präsent und bekannt. Auf der anderen Seite sei der Thurgauer Dialekt am nächsten am Hochdeutschen, das für viele Schweizer*innen eher negativ konnotiert sei. 

Eine eigene Sprache oder bloss Dialekt?

Für viele Deutschschweizer*innen ist Schweizerdeutsch die erste und Hochdeutsch die zweite Sprache, die sie erlernen. Wird man aber nach der Muttersprache gefragt, antwortet man trotzdem meistens mit «Deutsch». Ist Schweizerdeutsch nun eine eigene Sprache oder nur ein Dialekt? André Perler nennt zwei Gründe, warum Schweizerdeutsch als Dialekt zählt. Erstens ist nicht Schweizerdeutsch in der Verfassung als Landessprache aufgeführt, sondern Deutsch. Zweitens muss eine Sprache nach wissenschaftlichen Kriterien über offizielle Rechtschreiberegeln verfügen und sich klar von verwandten Sprachen unterscheiden – beides kann man vom Schweizerdeutsch nicht behaupten.

Offiziell ist Schweizerdeutsch also ein Dialekt oder besser gesagt eine Gruppe von Dialekten, die in der Schweiz gesprochen werden. Trotzdem funktioniert dieser Dialekt im Ausland meist wunderbar als Geheimsprache. Und wenn man nach den Ferien wieder in die Schweiz zurückkehrt, muss man sich zuerst daran gewöhnen, dass man wieder überall verstanden wird.

Hinweis: Im Buch «Gaggalaariplatz» von Urs Peter werden verschiedenste Schweizerdeutsche Wörter und Ausdrücke mit Illustrationen dargestellt und im Podcast «Dini Mundart» von SRF wird über Mundart, englische Einflüsse und Germanismen gesprochen.

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