In der Philosophie werden bestimmte Werkzeuge benutzt, die es leichter machen sollen, ein gewisses Thema philosophisch zu behandeln. In diesem Artikel stelle ich ein solches Werkzeug vor, das von dem Philosophen Gottlob Frege eingeführt wurde.
Toni Rasic, Philosophie
Illustration: Laura Kneisel, Kulturwissenschaften
Schauen wir uns die zwei folgenden Sätze an:
Pascal Mercier ist der Autor von Nachtzug nach Lissabon.
Peter Bieri ist der Autor von Nachtzug nach Lissabon.
Wenn ich euch sagen würde, dass nur eine Person den genannten Roman geschrieben hat, wäre es völlig berechtigt anzunehmen, dass eine der Aussagen falsch ist. Es stehen ja zwei unterschiedliche Namen an Stelle des Subjekts. Diejenigen von euch, die vielleicht das Buch schon mal in den Händen gehalten haben und sich erinnern, irgendwo am Rand der Bindung den Namen Pascal Mercier gelesen zu haben, würden vielleicht sogar einen Schritt weiter gehen und sagen, der erste Satz sei wahr und der zweite falsch. Diese Schlussfolgerung ist schlüssig. Dennoch ist sie falsch.
Nein, ich behaupte weder, der Verlag verbreite Fehlinformationen, noch, dass da eigentlich Peter Bieris Name stehen sollte (denn irgendwie steht auf dem Titelblatt ja doch Bieris Name). Tatsächlich sind beide Sätze wahr. Das liegt daran, das könnt ihr euch sicher schon denken, dass Pascal Mercier und Peter Bieri ein und dieselbe Person sind. Philosoph*innen ist der Autor bekannt als Peter Bieri, Literaturfans kennen ihn hingegen unter seinem Künstlernamen, Pascal Mercier. Die Auflösung des Rätsels wirkt im Nachhinein vielleicht nicht besonders spektakulär, aber es verbirgt sich dennoch ein wichtiges philosophisches Konzept dahinter.
Wer ist Frege?
Gottlob Frege (1848-1925) war ein deutscher Mathematiker, Logiker und Sprachphilosoph. Er wird von einigen Leuten als Vater der analytischen Philosophie angesehen. Anders als Linguist*innen untersuchen Sprachphilosoph*innen nicht eine oder mehrere bestimmte Sprachen, sondern Sprache als allgemein menschliches Phänomen. Zu den Gegenständen Freges Forschung zählten unter anderem die logische Beschaffenheit der Sprache, die Beziehung zwischen Wörtern und Dingen, sowie die verschiedenen Irrwege, auf die uns unsere Sprache führen kann. Auch das Rätsel, das ich euch am Anfang präsentiert habe, lässt sich mit Freges Hilfe vertiefen und besser verstehen. Schauen wir uns also das Beispiel etwas näher an.
Sinn und Bedeutung
Die Namen Peter Bieri und Pascal Mercier haben etwas gemeinsam, aber sie unterscheiden sich offensichtlich auch in einer wesentlichen Weise: Es gibt nämlich Situationen, in denen der eine oder der andere bevorzugt wird. Was haben sie denn gemeinsam? Beide beziehen sich auf dieselbe Person, die 1944 in Bern geboren wurde und Nachtzug nach Lissabon und andere Werke verfasst hat. Der Unterschied liegt darin, dass der volle gesetzliche Name dieser Person Peter Bieri lautet, der in seiner Geburtsurkunde und anderen Dokumenten angeführt ist. Pascal Mercier hingegen ist sein Künstlername, unter dem seine Romane veröffentlicht wurden und den er sich angelegt hat, um vermutlich Distanz zwischen seiner Person und seinen Romanen aufzubauen. Was diese zwei Namen gemeinsam haben, würde Frege Bedeutung nennen, und das, worin sie sich unterscheiden, Sinn.
Die Bedeutung eines Eigennamens ist der Gegenstand, der mit diesem Namen bezeichnet wird. Die Bedeutung der Eigennamen Venus, Morgenstern und Abendstern wäre also der Planet, der 108’208’000 Kilometer entfernt von der Sonne um sie kreist. Worin sich diese drei Namen unterscheiden, ist die Art ihres Gegebenseins, also ihr Sinn. Bei dem Namen Venus ist uns der Planet über seinen wissenschaftlichen Namen gegeben, bei Abendstern und Morgenstern über die Spezifikation, dass es der hellste Himmelskörper ist, der am Abend- respektive am Morgenhimmel von der Erde aus sichtbar ist.
Monde, Präsidenten und Königinnen
Die Bedeutung ist also der mit einem Sprachausdruck bezeichnete Gegenstand und der Sinn die Art des Gegebenseins des Gegenstandes. Mond und der natürliche Satellit der Erde sind zwei sprachliche Ausdrücke, die den Mond als Bedeutung, aber einen jeweils anderen Sinn haben. Einmal ist er uns durch seinen Eigennamen gegeben, einmal durch seine Kennzeichnung, also durch die Beschreibung dessen, was diesen Gegenstand einzigartig macht und von allen anderen unterscheidet.
Weitere Beispiele von Kennzeichnungen sind: der höchste Berg auf Erden, der gegenwärtige Präsident der USA, sowie der Urheber von Sinn und Bedeutung. Aus diesen Beispielen wird ersichtlich, dass einer Bedeutung mehrere Sinne entsprechen können, da ein Gegenstand auf unterschiedliche Arten gegeben sein kann. Die Erde hat jedoch keine zwei Monde, die USA nicht mehrere gegenwärtige Präsidenten und der Nachtzug nach Lissabon nicht mehrere Autoren. Also entspricht einem Sinn notwendigerweise genau eine Bedeutung, sofern er überhaupt eine hat.
Tatsächlich gibt es sprachliche Ausdrücke, die keine Bedeutung haben. Die grösste natürliche Zahl und die gegenwärtige Königin von Frankreich sind uns beide verständlich und drücken gewisse Arten des Gegebenseins aus, aber ihnen entspricht keine Bedeutung. Frankreich ist heutzutage eine Republik, also hat sie keine Königin. Die Reihe der natürlichen Zahlen ist unendlich, also gibt es immer eine noch grössere Zahl.
Frege veranschaulicht dies an folgendem Beispiel: Man betrachtet den Mond durch ein Teleskop. Frege vergleicht dabei die Bedeutung mit dem Mond. Gegenstände sind Freges Verständnis zufolge objektiv. Als Gegenstand ist auch der Mond objektiv. Den Sinn vergleicht er mit dem Teleskop. Der Sinn ist kein Gegenstand, und somit nicht objektiv, aber wie das Teleskop wird er benutzt, um auf Gegenstände zu weisen. Wie einer Bedeutung mehrere Sinne entsprechen können, so kann auch das Teleskop den Mond aus verschiedenen Winkeln und Positionen erfassen. Egal aber aus welcher Position er betrachtet wird, es handelt sich immer um denselben Mond. Wie auch das Teleskop kann der Sinn von mehreren Menschen benutzt werden, um zu einem Gegenstand zu gelangen. Das macht den Sinn zwar nicht objektiv, aber dafür intersubjektiv: Jeder, der die deutsche Sprache beherrscht, versteht den Ausdruck Mond.
Anwendung
Diese Ausführung zu Sinn und Bedeutung mag etwas abstrakt wirken. An dieser Stelle fragt ihr euch vielleicht, wie relevant Sinn und Bedeutung heute noch sind. Die Unterscheidung von Sinn und Bedeutung ist ein wichtiges philosophisches Werkzeug, dass auch in gegenwärtigen Debatten gebraucht wird. Dabei kommen die Ausdrücke Sinn und Bedeutung heute seltener vor als zu Freges Zeiten. Man sagt Intension statt Sinn und Extension statt Bedeutung. Auf Englisch wird Sinn als Sense oder Meaning übersetzt, während ihr den Begriffen Denotation oder Reference an Stelle von Bedeutung begegnen könnt. Ich bin diesem Werkzeug schon in der einen oder anderen Form in der Sprachphilosophie, Philosophie des Geistes, Erkenntnistheorie und anderen Disziplinen der Philosophie begegnet. Die Unterscheidung zwischen Sinn und Bedeutung hilft nicht nur bei der Präzisierung philosophischer Probleme. Auch in eurer Disziplin könnt ihr euch fragen, ob zwei Ausdrücke, die vermeintlich dasselbe bedeuten, tatsächlich verschieden sind und ob sich dieser Unterschied auf der Ebene des Sinns oder der Bedeutung verorten lässt.
Ich habe euch Sinn und Bedeutung am Beispiel von Eigennamen erörtert. Auch auf der Ebene von Aussagesätzen und Begriffswörtern lässt sich diese Unterscheidung treffen. Auch für diese Fälle gilt, dass der Sinn die Art des Gegebenseins ist und dass die Bedeutung der bezeichnete Gegenstand ist. Hier haben Sinn und Bedeutung aber andere Implikationen, auf die ich nicht eingehen werde. Falls dieser Artikel in euch Interesse für die Philosophie Freges geweckt hat und ihr mehr über seine Person und sein Werk erfahren wollt, kann ich euch folgende Literatur empfehlen:
Frege, Gottlob: Sinn und Bedeutung (wo ihr den Stoff, der in diesem Artikel behandelt wurde, vertiefen könnt), Die Vorstellung und Der Gedanke.
Gabriel, Gottlob & Schlotter, Sven: Frege und die Kontinentalen Ursprünge der Analytischen Philosophie. Münster 2017.