Im Rahmen von Mittwortsmusik, einer Kooperation der Unilu und der HSLU Musik, verfassten Valerio Ciriello und Joel Michel von der Hochschulseelsorge horizonte eine kurze Rede zu ihrem Jahresthema Brave New World. Für Lumos schrieben die beiden eine etwas abgeänderte Version, welche wir euch nicht vorenthalten wollen.
Vor 88 Jahren wurde der Roman Brave New World, Schöne Neue Welt, des britischen Autors Aldous Huxley veröffentlicht. Die schöne neue Welt, welche sich Aldous Huxley beschrieben hat, weist jedoch unangenehm viele Parallelen zu unserer Wirklichkeit auf. Im Roman wird eine Gesellschaft portraitiert, in welcher das pure Glück über der Freiheit des Einzelnen steht. Die Mitglieder der Gesellschaft werden dadurch glücklich, dass sie eine Droge namens Soma konsumieren (eine Droge, mit praktischen keinen Nebenwirkungen), durch das Zelebrieren der Masse, des In-der-Masse-seins, allen voran in spektakulären Sportveranstaltungen und durch das freie Ausleben der Sexualität (mit zig verschiedenen Partnern). Das Glücklichsein, ein ausschweifendes Sexualleben und das Sporttreiben sind drei der grössten gesellschaftlichen Ideale im Roman. Jedoch ist das Glücklichsein zur Pflicht geworden; wer unglücklich ist oder «betrübende» Gedanken hat, nimmt Soma. Bernhard Marx jedoch, ein intellektuelles Mitglied der obersten Kaste und der (Anti-)Held der Geschichte, hat Liebeskummer, sieht etwas seltsam aus, ist ab und an (wirklich) unglücklich und er entwickelt eigene Gedanken. Bernhard ist uns trotzdem sympathisch, weil er – im Gegensatz zu den anderen Figuren – menschlich und somit weit weg von jeglicher Perfektion ist.
Auch in unserer Realität erleben viele Menschen das Glücklichsein als eine Pflicht: Wer unglücklich ist, der verfehlt den Sinn des Lebens, macht irgendetwas falsch und ist meistens noch selbst schuld dran. Tagtäglich wird uns vermittelt, welche Wege, Lebensläufe und Produkte uns zum Glück führen. Wenn wir nicht wie die Figuren im Roman Brave New World im oberflächlichen Glück gefangen sein wollen, müssen wir jedoch eines erkennen: Zum Glück braucht es mehr als blossen Konsum, als ein blindes Hinterherrennen nach dem Glück, als einen blossen Konformismus. Denn zum wirklichen, richtigen Glück brauchen wir auch die Freiheit: Die Freiheit, mal aus der Reihe tanzen zu können, die Freiheit, anders sein zu können, die Freiheit nicht glücklich sein zu müssen. Und im Unterschied zu den Figuren in Huxleys Roman, dürfen, ja sollten wir diese Freiheiten nutzen und auch über unser Unglück, die Schwierigkeiten in unserem Leben und unsere schlechten Gefühle reden.
An Gegenständen, die uns oberflächlich glücklich machen, daran mangelt es uns nicht. Was unserer Gesellschaft fehlt, ist die Möglichkeit zum Gespräch, der (auf)richtige Austausch mit anderen, sowie Freiräume, in welcher wir frei experimentieren, denken und reden können. Zum Glück nämlich braucht es genau diese Freiräume und keine Pflicht, immer das bestmögliche Ergebnis anzustreben. Wer Glücklich und Frei sein will, muss sich auch trauen können, zu scheitern und wer das Glück anstrebt, muss auch einiges aushalten können.
Statt uns in sinnlosen Konsum zu flüchten oder uns für unsere schlechten Gefühle zu schämen, können und sollten wir über genau diese Gefühle reden und uns gegenseitig unterstützen. Gerade jetzt, in diesen unsicheren, vielleicht auch einsamen und beängstigenden Zeiten wird die Bedeutung des gemeinsamen Austausches und des Gespräches wieder deutlich. Sich seinen Freundinnen, Kollegen und Bekannten bei der Arbeit, in der Kirche, im Studium – per Zoom oder beim gemeinsamen Spaziergang – anzuvertrauen, heisst nämlich auch, die Freiheit zu nutzen, über seine Gefühle reden zu dürfen. Diese Strukturen und Gemeinschaften mögen uns vielleicht an sich binden, und uns so vielleicht in unserer Freiheit einschränken, doch sie geben uns auch Halt und Stabilität, welche für Glück (und somit die Freiheit) unerlässlich sind.
Freiheit und Glück bedingen sich gegenseitig – und wir sollten keines dieser beiden, vielleicht unerreichbaren, Ideale zugunsten des anderen vollends aufgeben. Die Figuren im Roman Brave New World zahlen schlussendlich einen zu hohen Preis für ihr «Glück». Freiheit und Glück lassen sich nicht kaufen oder konsumieren, sondern müssen erarbeitet und erschaffen werden. Ein Grossteil dieser Arbeit muss jedoch von uns selbst getan werden: Indem wir uns öffnen, diskutieren, sprechen und nicht dadurch, dass wir flüchten und uns isolieren.