Rassismus? Bei uns doch nicht!

Format
Bericht
Lesedauer
3 Minuten
Veröffentlicht am
6. Oktober 2020

Seit dem gewaltsamen Tod von George Floyd ist Rassismus eines der dominierenden Themen im öffentlichen Diskurs. Sich nicht nur im Kontext von Black Lives Matter und Polizeigewalt mit dem Thema zu beschäftigen, ist also sicher keine schlechte Idee. Eine Möglichkeit dazu bietet Tupoka Ogette mit ihrem Buch Exit Racism: rassismuskritisch denken lernen.

Reto Walpen, Philosophy, Politics & Economics

Schon als Fünfjährige erlebte die deutsche Autorin, Aktivistin und Antirassismustrainerin Tupoka Ogette Dinge, welche die meisten Leserinnen und Leser dieses Artikels, der Schreibende miteingenommen, wohl kaum nachvollziehen können. Im Intro ihres Buches «Exit Racism» erzählt sie, wie sie auf einem Spielplatz aus dem Nichts eine Stimme hörte: «Ih, hier stinkts nach N****!» 

Ein kleines Kind, das noch nicht einmal eine Uhr lesen kann, zutiefst beleidigt von einem erwachsenen Mann. Warum? Ihr Vater stammt aus Tansania. Ihre Hautfarbe ist dementsprechend dunkel.

Rassismus in einer so offensichtlichen Form zu erkennen und sich darüber zu empören, ist keine Kunst. Als Zeugin oder Zeuge in solch einer Situation einzugreifen und die Täterin oder den Täter zur Rede zu stellen, erfordert einen gewissen Mut und ist schon weniger leicht. Doch die wohl schwierigste, wenn auch unspektakulärste Herausforderung im Umgang mit Rassismus kann sein, sich des subtilen Alltagsrassismus, den viele von uns ohne jeglichen bösen Willen immer wieder reproduzieren, überhaupt erst bewusst zu werden. 

Not-so-Happyland

Doch wie soll man das schaffen? Man müsse «Happyland» verlassen, wie Ogette es nennt. Sie beschreibt Happyland als eine Welt, in welcher sich alle einig sind, dass Rassismus etwas zu Verachtendes ist, dass das Problem nur in rechten Milieus vorkommt, und dass Handlungen nur dann rassistisch sind, wenn sie mit Vorsatz begangen werden.

Fühlt sich jemand in Happyland rassistisch beleidigt, ist das in der Regel sein oder ihr Problem. Es sei ja nicht so gemeint gewesen und man brauche sich wegen einer harmlosen Bemerkung ja nicht gleich so anzustellen. Schliesslich sind wir in Happyland keine Rassisten. Des Rassismus bezichtigt zu werden, gilt hier gar als eine schlimme Beleidigung!

Doch dass es im progressiven und inklusiven Happyland keinen Rassismus gibt, ist nichts als eine Illusion: Auch hier werden Menschen psychisch und physisch verletzt. Andere verfügen von Geburt an über Privilegien und Vorteile, welche ihren Mitmenschen ohne berechtigten Grund verwehrt bleiben. Und all das geschieht ohne eine einzige Person, welche rassistisches Gedankengut hegen würde. 

Viele kleine Mückenstiche

Ogette und unzählige andere Schwarze Menschen und People of Colour erleben regelmässig sogenannte Mikroaggressionen – auch ohne die bewusste Entscheidung von nicht von Rassismus Betroffenen, jemandem schaden zu wollen. Die Tasche festhalten, wenn ein Schwarzer Mann im Bus vorbeiläuft. Gedankenlose, ausgrenzende Äusserungen. Aber auch augenscheinliche Komplimente, wie ein Lob für das gute Deutsch, obwohl die gelobte Person von Geburt an mit der deutschen Sprache aufgewachsen ist.

All das mag, zumindest für sich allein genommen, nicht allzu tragisch wirken. Doch können diese unzähligen «Kleinigkeiten» äusserst anstrengend und schmerzhaft werden. Sie können sogar zu ähnlichen Symptomen führen wie posttraumatische Belastungsstörungen, nicht selten sogar schon bei Kindern. Ogette erklärt es folgendermassen: «Stell dir vor, jemand würde dir mehrmals am Tag mit einer Nadel ins Bein stechen. Nicht so tief, dass es blutet, aber immerhin so, dass es ziemlich zwickt. Du müsstest nicht ins Krankenhaus, aber es würde dich in deiner Lebensqualität einschränken.»

Das wird man wohl noch sagen dürfen!

Sich solcher Verhaltensweisen bewusst zu werden und zu versuchen, sie zu verhindern, ist ein wichtiger Schritt, wenn man gegen unbewussten Rassismus ankämpfen will. Dazu gehört auch eine angemessene Sprache. Wird das Thema rassistische Sprache nur schon erwähnt, sind «Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!», «Sprachpolizei!» und «Zensur!» häufige Reaktionen.

Ogette relativiert jedoch: Natürlich darf man, zumindest innerhalb der Antidiskriminierungsgesetze, rassistische Sprache verwenden. Verboten ist das nicht. Die Frage ist, ob man das möchte. Besonders, wenn man sich der Tatsache bewusst ist, dass gewisse Begriffe rassistisch belastet sind und beleidigend aufgefasst werden können. Schliesslich respektiert man die Wünsche seiner Mitmenschen auch in Kontexten, die nicht direkt mit Rassismus zu tun haben. Will die hellhaarige Kommilitonin nicht Blondine genannt werden, tut man es schliesslich auch nicht, auch wenn man es nicht böse meint. Das ist nicht mehr als Respekt und Anstand. Mit Zensur hat das nichts zu tun.

Zuhören.

All das sind gute Schritte, um gegen das Problem Rassismus anzukämpfen, doch liegt der Schlüssel zu einem möglichst rassismusfreien Leben anderswo: Ogette ist sich nämlich sicher, dass Lernen und Bildung die wichtigsten Mittel hierfür sind. So sei es wichtig, zu realisieren, dass Rassismus nicht nur durch böse Absichten entstehen kann. Anstatt sich also direkt zu verteidigen und die Vorwürfe abzustreiten, wenn man auf rassistisches Verhalten hingewiesen wird, solle man viel eher zuhören und versuchen zu verstehen, woran sich die andere Person stört. Wenn das häufiger geschehen würde, wäre das, wie ein Schwarzer Teilnehmer von einem von Tupoka Ogettes Workshops es beschrieb, «einfach revolutionär».

Revolutionär, und doch so einfach. Eigentlich.

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