Noch vor einem Jahr hätten wir uns gefragt: Wer zum Geier ist Daniel Koch? Kurz darauf mutierte der gelernte Arzt zum bekanntesten Gesicht 2020. Das Interview mit dem Mann, der auch nach der Pension nicht zur Ruhe kommt.
Interview: Mateo Landolt, Philosophy, Politics and Economics
Bilder: Jonathan Biedermann
Schauen wir zurück: Herbst 2019. Daniel Koch ist 64 Jahre alt, hat eine langsam zu Ende gehende Berufslaufbahn hinter sich. Wie haben Sie damals in die Zukunft geblickt? Was waren Ihre Pläne?
Es ging vor allem darum, die Pensionierung gut vorzubereiten. Selbstverständlich haben wir intern schon länger überlegt, wie die Übergabe vonstattengeht. Geplant ist eine einmonatige Übergangszeit gewesen, gerade weil die Abteilung Übertragbare Krankheiten sehr gross und dossierlastig ist. Eigentlich haben wir uns also auf eine ganz normale Ablösung vorbereitet.
Dann kommt das Coronavirus, es gibt ein sehr hektisches Frühjahr und Sie sind landesweit berühmt. Wie schauen Sie nun auf diese Zeit zurück?
Die Pandemie hat natürlich alle Pläne auf den Kopf gestellt. Die Abteilung hat in den Krisenmodus gewechselt und die normale Übergabe konnte so natürlich nicht mehr stattfinden. Es ging nur noch darum, diese Krise zu bewältigen.
Ihre Pension wurde also zur Nebensache.
Eine Pensionierung ist immer eine grosse Änderung im Leben. Ich habe mir vorgenommen, etwas mehr Zeit zu haben, mehr Sport zu machen. Das ist dann so nicht eingetroffen (lacht). Ich bin nun auch nach der herausgezögerten Pensionierung völlig mit der Pandemie beschäftigt und erhalte etliche Anfragen für Vorträge und Beratungen. Die Perspektive hat sich also schon stark geändert.
Was macht das mit einer Person, wenn man so plötzlich ins Rampenlicht tritt?
Man kann sich auf diese Situation nicht vorbereiten, weil sie sehr schnell und überraschend kommt. Als 65-jähriger fällt einem diese Umstellung wohl einfacher als einem jungen Sportstar mit 20. Die grössere Lebenserfahrung hilft, das Ganze zu verarbeiten; man wird nicht so schnell aus der Bahn geworfen. Die Situation war aber gewöhnungsbedürftig, auch wenn mit ihr viele positive Erfahrungen verbunden sind. Ich habe unglaublich viele aufmunternde Nachrichten von dankbaren Menschen erhalten. Das ist sehr schön.
Was freute Sie denn am meisten?
Sehr positiv überrascht hat mich die Geschichte mit der eigens für mich geschnitzten Statue. Und noch mehr Freude macht mir der dabei gegründete Verein, der 14 Tausend Franken fürs Rote Kreuz gesammelt hat. Das war überwältigend.
Was hat Sie am meisten geärgert, etwa in den Medien oder auf Social-Media?
„Geärgert“ ist wohl die falsche Formulierung – das gehört dazu. Es ist völlig normal, dass Leute in einer Krise eine andere Meinung vertreten. Ich hatte und habe damit keine Mühe. Sehr hilfreich war mir dabei das Theaterstück „An Enemy of the People“ von Henrik Ibsen, das ich als Postgraduate in den USA zur Pflichtlektüre hatte. Das Werk wurde 1882 geschrieben und beschreibt genau die aktuelle Problematik der verschiedenen Interessen in der öffentlichen Gesundheit. Ich kann es nur weiterempfehlen.
Sie waren vor Ihrem Beamtenjob medizinischer Krisenkoordinator beim IKRK, unter anderem mit Missionen in Sierra Leone, Uganda, Südafrika, El Salvador und Peru. Lassen sich die damaligen Herausforderungen mit jener als Corona-Delegierter vergleichen?
Nein, ich glaube das geht nicht. Kriegssituationen dürfen sicher nicht mit einer Epidemie verglichen werden. Eine Epidemie ist natürlich und damit müssen wir umgehen können. Ein Krieg hingegen ist von Menschenhand gemacht. Die teils eingesetzte Kriegsrhetorik in der Pandemiebekämpfung ist keine sinnvolle Rhetorik. Was ich beim Roten Kreuz gelernt habe, ist, gewisse Dinge einfach zu akzeptieren. Ich versuche mich möglichst schnell auf Probleme zu konzentrieren, die gelöst werden können.
Bundespräsidentin Sommaruga gestand in einem NZZ-Interview, dass sie auf dem Höhepunkt der Pandemie „gelegentlich wach lag“ und sehr besorgt gewesen sei. Haben Sie nie schlecht geschlafen?
Dass man sich fragt, ob man in dieser Situation das richtige tut, gehört dazu. Im Gegensatz zu Frau Sommaruga ist es aber mein Beruf, sich mit Epidemien auseinanderzusetzen (lacht). Der Umgang mit diesen Informationen fiel mir deswegen möglicherweise leichter. Am Ende des Tages muss aber der Bundesrat Entscheidungen treffen und diese mittragen. Davor habe ich sehr grossen Respekt, gerade weil der Bundesrat sich nicht tagtäglich mit Epidemien auseinandersetzt.
Bundesrat Berset und Sie machten in der Krise den Eindruck eines unzertrennlichen Gespanns. Hat sich da eine Freundschaft entwickelt?
Was es in einer solchen Lage sicher braucht, ist gegenseitiges Vertrauen und gegenseitige Unterstützung. Das hat mit Herrn Berset sicherlich hervorragend funktioniert. Ich würde es als sehr gute berufliche Freundschaft bezeichnen. Privat kenne ich Alain Berset zu wenig, um das eine Freundschaft zu nennen.
Herr Koch, Sie sind Mr. Corona. Wie gefällt Ihnen ihr Spitzname?
Ich habe in meinem Leben schon so manche Spitznamen gehabt, die ich hier nicht alle aufführen werde. Wahrscheinlich brauchten die Leute eine gewisse Identifikation und wenn ich deswegen zum Mr. Corona wurde, so ist das okay. Ich habe weder Mühe damit noch freut es mich besonders. Es ist halt einfach so.
Sie werden nun aber für den Rest Ihres Lebens mit diesem schrecklichen Virus assoziiert. Ist das nicht schlimm?
So sehe ich das nicht. Die Menschen verbinden mich mit der Pandemie und der schwierigen Situation. Ich denke aber, sehr viele Leute haben auch positive Assoziationen mit der Art und Weise, wie die Schweiz mit der Krise umgegangen ist. Es hätte sicherlich schlimmer kommen können und deswegen sehe ich diese Verbindung zu mir eher positiv.
Diese Beliebtheit nahm teils verehrende Züge an. Ein Satire-Format photoshoppte Ihr Gesicht mit jenem von Ghandi, eine Instagram-Fanpage machte die Gleichsetzung mit Wilhelm Tell und Henry Guisan.
In solchen Situationen sollte der Humor nicht verloren gehen. Ich habe diese Aktionen genossen. Nicht wegen der Verehrung, sondern weil ich es wichtig finde, dass die Leute noch lachen können. Man soll sich von diesem sehr ernsthaften Problem nicht überwältigen lassen.
Ist das auch etwas, das Sie aus früheren Tätigkeiten in Krisengebieten mitgenommen haben?
Ich glaube es gibt keine Situation auf der Welt, in welcher keine Prise Humor auftaucht.Damit meine ich aber guten Humor, also nicht indem man sich über etwas lustig macht oder etwas verharmlost. Humor ist eine Befreiung und eine Art mit dem Leben umzugehen.
Sie scheinen die Reichweite Ihrer Stellung zu nutzen. Auf Instagram haben Sie mehr als 24 Tausend Follower, Sie springen im Anzug in die Aare und im August erscheint ein Buch. Haben Sie eine PR-Maschinerie aufgebaut?
Das mit der Instagram-Seite liegt mir am Herzen, weil es nicht um die Videos an sich geht, sondern um uns die immer noch ernste Lage in Erinnerung zu rufen. Die Probleme sind nach wie vor nicht aus der Welt geschafft. Wir können versuchen, wieder ein möglichst normales Leben zu führen, aber immer mit den nötigen Vorsichtsmassnahmen.
Wann denken Sie denn, könnte Ihr persönlicher Kampf in dieser Thematik zu Ende sein?
Ich kann ja bereits jetzt runterfahren, da ich nicht mehr die gleiche Position innehabe wie früher. Ich bin kein Prophet und weiss nicht, wie es in einem Jahr aussehen wird. Im Moment engagiere ich mich, weil ich Freude daran habe und ich so etwas Sinnvolles an die Schweizer Bevölkerung zurückgeben kann.
Das Virus hat der reichen und freiheitsliebenden Schweiz gezeigt, dass die Natur am Ende des Tages das Sagen hat. Ist das nicht auch etwas Positives?
Solch eine Krankheit oder Pandemie hat nichts Positives an sich. Das ist eine Katastrophe und es wäre besser, wenn das nie passiert wäre. Bei allen Infektionskrankheiten, sei es nun HIV oder Covid-19, bezahlen immer die Ärmsten. Es trifft nicht nur die ärmsten Länder, sondern auch die untersten sozialen Schichten in jedem einzelnen Land am stärksten. Dieser Fakt muss auch in der Schweiz aufrütteln. Wenn die Sans-Papiers in Genf plötzlich für Essen Schlange stehen müssen, dann hoffe ich, dass sich die Bevölkerung dieser sozial Vernachlässigten bewusst wird.