Corona gibt einem alten Problem neues Gewicht. Eine Analyse des feministischen Hochschul-kollektivs Luzern.
Miriam Helfenstein vom Feministischen Hochschulkollektiv Luzern
Die Frau*, die im Home-Office arbeitet, Kinder betreut und Hausarbeit macht. Die Pflegerin, die im Spital für Patient*innen sorgt. Die Reinigungsangestellte, die im Altersheim die Räume sauber hält. Die Relevanz all dieser mehrheitlich von Frauen* ausgeübten Arbeiten und Berufe, die sich unter dem Begriff der Care-Arbeit zusammenfinden, zeigt sich in der Corona-Krise. Während die Wirtschaft heruntergefahren wird und die Produktion stillsteht, ist es die Care-Arbeit, die das System am Laufen hält.
Systemrelevant
Dass Care-Arbeit durch die Corona Krise an Platz im gesellschaftlichen Diskurs und an Anerkennung gewinnt, ist wertvoll. Doch Care-Arbeit ist nicht nur in Krisenzeiten wichtig. Systemrelevant war die Care-Arbeit schon immer. Es ist die Erziehungs-, Pflege-, Betreuungsarbeit, welche Grundvoraussetzung für die Gesellschaft ist, und somit auch für die Produktion in der Wirtschaft. Denn ohne die Weitergabe von gesellschaftlichen Werten, Wissen und Fähigkeiten, ohne das Aufziehen von und Sorgen für Kinder, gäbe es keine zukünftigen Arbeitskräfte. Die bekannte US-amerikanische Historikerin und Mitorganisatorin des Internationalen Frauen*streiks Tithi Bhattacharya fasst dieses Argument mit der Frage zusammen: «Who produces the worker?»
Care-Arbeit ist seit der zweiten Welle der Frauen*bewegung ein zentrales Thema in den Feministischen Bewegungen. Während die erste Welle der Frauen*bewegung für das Frauenstimmrecht und das Recht auf Erwerbsarbeit kämpfte, setzt sich, die in den 1960er Jahren aufkommende, zweite Frauen*bewegung mit Themen wie dem Recht auf Selbstbestimmung, Sexualität oder sexualisierter Gewalt auseinander. In ihrer Analyse der Arbeit und der Rolle der Frau in der Gesellschaft wurde die Care-Arbeit zentral und ihre Aufwertung wird bis heute gefordert.
Es war schon vor Corona Notstand
Die strukturelle Abwertung der Care-Arbeit in der Vergangenheit wird während der Corona-Krise spürbar, beispielsweise wenn es um die Knappheit an Pflegepersonal geht. Pro Jahr werden 3000 Pfleger*innen ausgebildet, nötig wären doppelt so viele. Und nach einer Studie des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums verlassen 46 Prozent der in der Pflege Beschäftigten ihren Beruf. Nicht ohne Grund: Die Arbeitsbedingungen als Pfleger*in sind alles andere als fair, die Belastung ist hoch und der Lohn tief. Das Online Magazin Das Lamm hat dazu mit verschiedenen im Gesundheitsbereich tätigen Personen gesprochen. Die Aussagen gleichen sich: Die Belastungen – körperlich wie psychisch – sind hoch, genauso wie der Personalmangel. «Was mich total wütend macht, ist, dass die offizielle Wertschätzung fehlt», fügt Martina Wetzel vom Unispital Zürich an.
Die hier kritisierten Arbeitsbedingungen und tiefen Löhne sind das direkte Resultat eines Gesundheitssystems, welches sich nach der Kostenfrage, nach dem Kriterium der Effizienz richtet. «Bis jetzt liegt der Fokus in unserer Gesundheitspolitik immer auf der Frage, wie viel etwas kostet und ob sich das finanzieren lässt», meint die Feministische Ökonomin Mascha Madörin und fordert ein Umdenken: Die Gesundheit und nicht die Kostenfrage müsse zuerst kommen.
Besonders jetzt, in Zeiten von Corona, ist ein Feministischer Blick auf die gesellschaftlichen Vorgänge wichtig. Denn wenn wir nun das Gefühl haben, das Bewusstsein um die Bedeutung der Care-Arbeit sei in den letzten Tagen gestiegen, so bleibt doch zu fragen: Geht diese Anerkennung über den Applaus hinaus? Kohle statt Klatschen – steht es auf einem Transparent, aufgehängt auf einem Balkon in Bern. Applaus reicht nicht; Es braucht bessere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen für die sogenannten Frauenberufe – für die systemrelevanten Berufe.
Eine Feministische Perspektive
Die Coronakrise zeigt, welche gesellschaftlichen Bereiche wirklich wichtig sind. Bereiche, die in den Fokus gerückt werden müssen und keinem Kostendruck unterworfen werden dürfen. Denn Reproduktion kommt vor der Produktion und sollte dementsprechend gewichtet werden. Care-Arbeit soll nicht nur mit Applaus anerkannt werden, sondern die höheren Löhne und besseren Arbeitsbedingungen erhalten, die sie verdient. Umso wichtiger ist auch in Corona Zeiten eine starke Feministische Bewegung, die hinterfragt, kritisiert, protestiert, laut wird und uns zeigt: eine Feministische Zukunft ist möglich.