Wie die Fan-Kultur die Filmwelt umkrempelt und warum das immer mehr zu einem Problem wird. Von Exegeten, Bubis und Po-Löchern.
Louis Fedier, Judaistik
Es war einmal vor langer Zeit in einer nicht so weit entfernten Galaxis…
Da wurde unter der Schädeldecke eines gewissen George Lucas die Idee zu einer der grössten und bedeutendsten Filmreihen aller Zeiten geboren: Star Wars. Sie sollte die Filmwelt in kultureller wie wirtschaftlicher Hinsicht verändern, wie nur wenige zuvor. Und als wäre das noch nicht genug, entstand gewissermassen als Nebenprodukt sogar ein neuer Menschen-Typ: der eingefleischte Film-Fan. Er oder sie spielt in der heutigen Filmbranche beinahe so eine grosse Rolle wie die Studios selbst – oder glaubt es zumindest – und verfügt inzwischen über einiges an Macht, weswegen es sich durchaus lohnt, diese Spezies einmal etwas genauer zu betrachten.
Erzähl mir nicht, wie meine Geschichten gehen
Als sich Star Wars Ende der Siebziger zu einem kulturellen Massenphänomen zu entwickeln begann, fingen die Fans an, sich zu kostümieren, in Fanclubs zu organisieren und Treffen abzuhalten. Eine der grössten Veranstaltungen dieser Art ist die bis heute noch in unregelmässigen Abständen stattfindende Star Wars Celebration. Dort finden sich jeweils tausende begeisterter Star Wars-Fans aller Altersgruppen ein, die meisten davon in aufwendig hergestellten Kostümen. Aus der ganzen Welt strömen sie herbei, nur um für ein paar Tage ganz in dieser fiktiven Welt aufzugehen und mit ihresgleichen zu fachsimpeln, auch wenn man für das maximale Fan-Erlebnis mit dem Jedi Master Package satte 900 Dollar hinblättern muss. Für Aussenstehende mag das jetzt leicht abgedreht, ja sogar verrückt anmuten, aber die Star Wars-Fans sind damit keineswegs allein. Auch andere Filmreihen, wie etwa Herr der Ringe oder Harry Potter, verfügen über eine enthusiastische Fanbase, deren Mitglieder auf zahlreichen Conventions und Fantreffen Schwerter und Zauberstäbe schwingen.
Je mehr sich die Fans aber in ihre geliebten Filmwelten hineinsteigerten, desto mehr trat die Schattenseite dieser Entwicklung zutage: der Streit um die korrekte Exegese der Werke. Nach und nach führte dieses Fan-Engagement nämlich dazu, dass kreative Köpfe wie George Lucas oder grosse Studios wie Disney plötzlich die Deutungshoheit über ihre eigenen Werke verloren und fortan die Fans bestimmten, was denn nun richtig und gut sei. Eigentlich ist es paradox: Fans kämpften fortan gegen die Erfinder und Hersteller dessen, wovon sie begeistert sind, weil die es angeblich nicht (mehr) richtig machen. Noch eine der harmloseren Folgen davon ist die im Internet inzwischen massenhaft auffindbare Fan-Art. Während sich manche darauf beschränken, schöne Bilder ihrer Helden zu malen oder Film-Requisiten nachzubauen, nutzen andere ihr kreatives Potential, um die Geschichten so zu erweitern, wie sie ihrer Meinung nach sein sollten. Dabei werden in selbstgemachten Kunstwerken beispielsweise unbeliebte Charaktere «getötet» oder – was recht häufig vorzukommen scheint – Liebespaarungen so angepasst, dass «die Richtigen» zusammenkommen. Dass dabei teilweise auch die Grenze zum pornografischen Überschritten werden, dürfte eigentlich niemanden mehr überraschen, Stichwort: Rule 34.
Nutze die Macht, Fan!
Der Aufstieg des Internets führte schliesslich dazu, dass sich die Fans auf der ganzen Welt noch einfacher miteinander vernetzen und noch lautstärker artikulieren konnten. Auf diese Weise, in ihrem Selbstverständnis als Hüter des einzig Wahren und Guten bestärkt, begannen Fans mittels zahlreicher Online-Petitionen Änderungen an noch zu produzierenden oder bereits veröffentlichten Filmen von den Studios einzufordern, wenn auch mit mässigem Erfolg.
Bei Star Wars entzündete sich der Zorn vieler Fans am 2018 erschienenen achten Teil der Saga (Die letzten Jedi). Mit einer über 110’000 Unterschriften zählenden Petition forderten sie Disney dazu auf, diesen aus dem offiziellen Kanon zu streichen. Der Film – so ihr Hauptargument – entspreche nicht mehr dem ursprünglichen «Geist» von Star Wars und müsse demzufolge offiziell für nichtig erklärt werden. Dass Disney dieser Forderung nicht nachkam, ist angesichts der Produktionskosten von 200-250 Millionen Dollar und einem geschätzten Einspielergebnis von mehr als einer Milliarde Dollar wenig erstaunlich.
Ein noch aktuelleres Beispiel ist der für 2021 geplante Batman-Film mit Robert Pattinson – dem Glitzer-Vampir aus Twilight – in der Hauptrolle. Nun ist es mit Batman immer so eine Sache. In den letzten Jahrzehnten haben sich verschiedene Darsteller mit mehr oder weniger grossem Erfolg an dieser Rolle abgearbeitet. Kaum eine Besetzung (vielleicht mit Ausnahme von Michael Keaton) hat es aber bisher geschafft, noch vor Drehbeginn ein derart kontroverses Fan-Echo hervorzurufen, wie die Berufung von Robert Pattinson. Zu jung, zu bubihaft, zu glatt, zu schlecht soll er sein. Mehrere Online-Petitionen wurden gestartet; die erfolgreichste davon sammelte in elf Monaten gerade mal etwas mehr als 6’500 Unterstützer. Der Dreh hat trotzdem wie geplant begonnen.
Ein Hashtag, sie zu knechten
Ein weiteres Mittel, das von Fans gerne verwendet wird, um die Studios zu beeinflussen, ist der Hashtag in den Sozialen Medien. Auch hierzu wollen wir uns zwei Beispiele kurz anschauen.
Der 2017 erschienene Superheldenfilm Justice League sollte DCs lang erwartete Antwort auf Marvels Überraschungserfolg The Avengers aus dem Jahr 2012 werden. Leider waren aber weder Kritiker noch Fans wirklich begeistert davon und der Film wurde zu einem der grössten Flops des Jahres. In den Fan-Foren begann es zu kochen: Wie konnte ein Film mit einem 300 Millionen-Budget und zwei der grössten Superhelden aller Zeiten (Superman und Batman) dermassen enttäuschen? Für viele Fans lag die Antwort auf der Hand: der von Regisseur Zack Snyder eigentlich schon fixfertig produzierte Film sei nach dessen überraschendem Ausstieg von Ersatzregisseur Joss Whedon im Sinne der Studiobosse bis zur Unkenntlichkeit verändert und verschlechtert worden. Die aus Fan-Perspektive logische Schlussfolgerung daraus war der Hashtag #ReleasetheSnyderCut, mit dem sie das Studio dazu bringen wollten, Zack Snyders Original-Schnittfassung des Films zu veröffentlichen. Die Debatte dauert bis heute an und wird auch von Snyder selbst immer wieder aufs Neue befeuert.
Einen ähnlichen, wenngleich noch viel skurrileren Fall gibt es auch aus dem aktuellen Jahr: Cats. Schon der Trailer des Films war, ähm, sagen wir: «speziell». Die ersten Reaktionen von Fans und Kritikern haben beinahe das Internet zerstört, ja selbst die sonst ach so seriöse New York Times konnte sich eines bissigen Kommentars nicht verkneifen. Ende Dezember 2019 kam der Film dann ins Kino und wurde zum allseits erwarteten Desaster. Die per Computer hergestellten Hybrid-Wesen irgendwo zwischen Mensch und Katze lösten bei vielen Kinogängern zu Recht Kopfschütteln aus. Es sollte aber noch schlimmer kommen, denn vergangenen März begannen sich die Anzeichen zu mehren, dass ein Special-Effects-Artist extra angeheuert wurde, um vor der Veröffentlichung des Films noch schnell alle computeranimierten Katzen-Po-Löcher weg zu retuschieren. Nun fordern viele Twitter-User: #ReleaseTheButtholeCut. Kein Witz!
Zurück zu den Schatten! Ihr könnt nicht vorbei!
Die Fan-Kultur ist in ihrem Kern eigentlich eine schöne Sache. Sie bildet ein Kontrastprogramm zum Alltag und kann wunderschöne, witzige, aber auch sehr emotionale Produkte hervorbringen. Hauptproblem bei nahezu allen angesprochenen Beispielen ist und bleibt aber ein vollkommen falsches Selbstverständnis der Fans. Nur weil die Studios bis zu einem gewissen Grad auf sie angewiesen sind, bedeutet das nämlich noch lange nicht, dass Disney und Konsorten auch nach deren Pfeife tanzen müssen.
Was geschieht, wenn Studios dennoch vor den eigenen Fans kuschen, konnte am letzten Star Wars-Film (Episode IX: Der Aufstieg Skywalkers) gut gesehen werden. Die Disney-Studios, die beim vorangegangenen Film sowohl bei der Story als auch der Charakter-Entwicklung einige Wagnisse eingegangen waren, fürchteten sich dermassen vor einem erneuten Fan-Backlash, dass der abschliessende Film der Skywalker-Saga zu einem reinen Fan-Service verkam. Es wurde fast nur noch das gemacht, was die Fans forderten, um den finanziellen Erfolg des Films nicht zu gefährden. Das könnte längerfristig dazu führen, dass auch andere Filmstudios zukünftig noch weniger auf Innovation und stattdessen auf Altbekanntes setzen werden. Statt neuen Ideen gäbe es dann nur noch mittelmässige Sequels, Prequels und Reboots ohne jeglichen Mehrwert. Der daraus erwachsende kreative Schaden wäre immens.
Dass sich die Fans für eine gute Story- und Charakterentwicklung einsetzen ist ja an und für sich eine gute Sache, aber die Filmwelt ist keine Demokratie. Damit gilt es sich abzufinden.