Tinderkinder – Generation beziehungsfähig

Illustration: Laura Kneisel

Wir verwenden das Label «Generation beziehungsunfähig» nur zu gerne zur Selbstdarstellung. Die Wissenschaft sieht das aber etwas anders.

Luna Libido

Das Gesprächsthema beim Kafi mit einer Freundin: Männer. Beim Mittagessen an der Uni: Männer. Freitagabends in Folge eines sich intensivierenden Weissweinrauschs: Männer, ein bisschen lauter. Und es sind keine Loblieder, die wir da jeweils aufs andere Geschlecht singen, nein, jedes Gespräch ist von genervten Ausrufen nur so getränkt, von Händen, die verworfen, von Augen, die gerollt und von Stirnen, die in Falten gelegt werden. Eine Frage, die dabei zuverlässig immer aufgeworfen wird: Warum sind die eigentlich so dumm? Und das Witzige ist ja, dass sich meine Mitbewohner und ihre Jungs bei einer abendlichen Zigi auf dem WG-Balkon dasselbe über die Frauenwelt fragen: Warum spinnen die eigentlich so rum?

Ein Leser meint, dass die ganze Datinggeschichte nicht funktioniere, weil zwei unterschiedliche Welten aufeinanderprallen. Und dies führe im Zuge überhöhter Erwartungshaltungen – die etwa dadurch entstehen, dass wir geneigt sind, im Datingprofil unser bestes Ich zu konstruieren – dann zu Enttäuschungen. Dabei müsste man, so der Leser, «unverkrampft an die Sache rangehen und von vornherein sagen, was man will».

Aber: Einfacher gesagt als getan, oder? Sind wir vielleicht einfach beziehungsunfähig? So lautet zumindest das weitverbreitete Narrativ: Tinderprofil, Onlineporno und Chatroom heissen die verteufelten digitalen Übeltäter – Inszenierungswahn, hohe Ansprüche, ernüchternde Wirklich- und chronische Unverbindlichkeit sind der Outcome. So und ähnlich argumentieren Millennials und andere Verfechter der «Generation-beziehungsunfähig-These», und einige davon verdienen sogar gründlich Cash mit entsprechenden Büchern, Podcasts und Vorträgen. Scheint, als könnten wir uns mit dem aufgedrückten Label ziemlich gut identifizieren.

Gut. Aber jetzt haltet euch mal fest: Wir sind eigentlich gar nicht so beziehungsunfähig, wie uns nachgesagt wird.  Wir sind im Gegenteil ganz schön beziehungsfähig – und das ist jetzt nicht auf Luna Libidos Mist gewachsen, nein, ich war zugegebenermassen auch bitzli baff, als ich mich aus dem Nichts mit dieser Antithese konfrontiert sah. Es ist die Wissenschaft, die das sagt, oder um genauer zu sein, die Psychologin Stefanie Stahl. «Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment», hiess es in den Swinging Sixties. Dagegen sind wir jungen Menschen heute geradezu spiessig – kommen tendenziell früh zusammen und das für oftmals mehrere Jahre. Serielle Monogamie nennt sich das. Ein cooles Konzept: Quasi Monogamie, aber in modern. Und in mehrfach. Wenn auch nicht all unsere Beziehungen für immer währen, ist die Beziehungsqualität erheblich besser als zu Zeiten sogenannter Versorgerehen, von denen es – und das sind Stefanie Stahls Worte – viele ziemlich beschissene gab: Gesellschaftliche Heirats- und Familiengründungszwänge, weniger Emanzipation und weniger ausgelebte Freiheiten. Anders als früher kann man sich heute auch scheiden, ohne zwangsläufig das Gesicht zu verlieren. Und das ist gut so: Gute Beziehungsführung bedingt gute Krisenbewältigung – da gehören Schlussstriche dazu.

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