Luzern, das sind Touristenströme vor teuren Uhrengeschäften, Luxushotels, zahlreiche Bars und Cafés und ein fantastisches Bergpanorama. Es gibt aber auch ein anderes Luzerner Leben, das sich abseits dieses Trubels abspielt.
Sophie Küsterling, Politikwissenschaften (Text)
Tanja Bojanic (Bilder)
Treffpunkt ist die Bushaltestelle Paulusplatz. Denn ich habe mich für eine Tour des Vereins «Abseits Luzern» durch die Neustadt angemeldet. Der Verein organisiert seit 2017 Soziale Stadtrundgänge, die von armutsbetroffenen, drogensüchtigen Menschen oder IV-Rentnern geführt werden. Sie wissen, wovon sie erzählen und ihre Geschichten sind es auch, welche die Führungen so eindrücklich machen. Unsere Guides Marcel und Pit sind keine Ausnahme. Mit viel Witz und Charme, aber auch einer schonungslosen Offenheit erzählen sie von ihren Schicksalen. Sie erzählen vom Abrutsch in die Drogensucht und Kleinkriminalität, von Jobverlusten und Sozialhilfe und dem langen, schwierigen Weg raus.
Bevor wir mit der Führung beginnen, macht Marcel klar: «Auf den Abfalleimern dort drüben steht ‚Luzern glänzt‘. Luzern glänzt aber nicht überall, und solche Orte wollen wir euch heute zeigen.» Während dem Stadtrundgang besuchen wir das Brockenhaus Caritas Wohnen, den Caritas Markt, Ziitlos Secondhand und die Caritas-Velostation gleich hinter der Universität. In den Geschäften der Caritas erhalten arbeitslose Personen im Rahmen von Erwerbslosenprogrammen eine temporäre Anstellung. Es sind vor allem Institutionen, die alles, was man zum Leben braucht, zu günstigen Preisen anbieten. Im Caritas-Markt an der Bleicherstrasse 10 können von Armut betroffene Menschen beispielsweise günstig Lebensmittel und Hygieneartikel einkaufen. Dafür müssen sie die «Kulturlegi» vorweisen, die man kostenlos bei der Caritas beantragen kann. Pro Tag kaufen im Caritas Markt laut Pit und Marcel bis zu 320 Personen ein.
Als wir am Bleichergärtli vorbeikommen, machen wir eine WC-Pause. Das nimmt Pit als Anlass, uns über das Himmelrich 3, die Siedlung der Allgemeinen Baugenossenschaft Luzern, zu erzählen. Die alten Genossenschaftswohnungen werden durch Neubauten ersetzt. Die ersten 179 Wohnungen stehen bereits, 70 weitere werden noch gebaut. Pit erzählt, dass er hier früher oft bei Freunden zu Besuch war. Das wird wohl nicht mehr so sein. «Obwohl die Mieten deutlich unter dem Luzerner Durchschnitt liegen, sind sie für viele ehemalige Bewohner oder Sozialhilfeempfänger wie mich zu teuer», erklärt er.
Angekommen im Vögeligärtli, lernen wir, dass hier früher ein richtiger Drogenhotspot war. Bevor die hohen Hecken geschnitten und ein Kinderspielplatz gebaut wurden, war der Park das Luzerner Äquivalent zum Zürcher Platzspitz. «Aber nur, weil wir die Drogensucht nicht mehr so offen sehen, heisst das nicht, dass es sie nicht mehr gibt. Sie hat sich nur verlagert», warnt Marcel. Nämlich hin zur Bruchstrasse, wo das «Drop-in» opioidabhängigen Menschen eine Substitutionsbehandlung anbietet. Aber die Öffnungszeiten seien viel zu kurz, sagt Marcel und wird kurz vor Ende des Rundgangs noch schnell politisch. «Wenn wir irgendwann einmal über längere Öffnungszeiten abstimmen sollten, dann werft doch ein Ja in die Urne.»
Im Kanton Luzern leben laut der Caritas Luzern über 30’000 Menschen unter der Armutsgrenze. Dies bedeutet, dass ihnen gemäss der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe pro Tag rund 33 Franken für Essen, ÖV, Kleidung, Hygiene und Telefon zur Verfügung stehen. In der Stadt Luzern bietet der Verein Abseits sieben verschiedene «Soziale Stadtrundgänge» an. Auch in den Städten Bern, Basel und Zürich gibt es entsprechende Angebote.