Streik! Warum?

Bild: Tanja Bojanic

Es ist viel zu früh. Verschlafen sitzt du im Zug, faltest ein paar Notenblätter. Neben dir eine Tasche mit Kissen, Kuchen, Kaffee. Du bist nervös.

Léonie Hagen, Philosophy, Politics & Economics (Text)

Wie viele Leute werden kommen? Dein Handy vibriert: Nachrichten in allen Variationen der Schweizer Dialekte: Wo bist du, wie finde ich euch, haben wir alles, wo ist das Mikro? Du atmest tief ein, lehnst dich ans Fenster; zum Schlafen bist du zu aufgeregt.

Du gesellst dich zu den Frauen*, die nach und nach zum Streik­frühstück der Frauen*streikgruppe der Unilu eintrudeln. Sie sitzen in Kleingruppen auf dem Boden, hören Musik, hängen Transpis auf. Das Facility Management der Uni hat sie gebeten, sich um zwei Meter zu verschieben. «Und wenn schon.», murmelt jemand aus der Streikgruppe. Die Stimmung ist ruhig. Du bist unsicher. Ist das schon alles? 

Programmbeginn. Ihr singt. Verhaltenes Gelächter über die allgemeine Unsicherheit, wie die Texte zu den Noten passen. Der erste Poetry Slam wird vorgetragen. Allmählich wird die Stimmung offener, du lächelst die anderen an. Neue Frauen* kommen hinzu, Menschen laufen vorbei, bleiben stehen. Ihr singt wieder, ein neuer Text, drei Reden vom Frauen*­streikkomitee der Unilu. 

Auch an der Universität besteht Handungsbedarf in Sachen Gleichstellung. «Dein Talent hat Zukunft», aber welche? Langsam werdet ihr energischer, lauter.

Um 11 Uhr dann der Weckruf am städtischen Frauen*streik. Aus der überschaubaren Student innengruppe vor der Universität ist längst ein Theaterplatz geworden, auf dem sich über tausend Frauen* versammelt haben. Wie viele von ihnen haben schon den Streik von 1991 miterlebt? Wie viele sind noch zu jung, um überhaupt zu verstehen, warum sie hier sind? 

«Seid ihr bereit?» Sie johlen, lachen, klatschen. Und du mit ihnen. Du spürst, wie sich eine Euphorie breitmacht. Die Dynamik dieser Menschenmenge – dieser  Menge von Frauen* – zieht dich in ihren Bann. Heute seid ihr hier, heute seid ihr laut, heute nehmt ihr euch den Platz. Es spielt keine Rolle mehr, wer findet, dass es den Streik braucht und wer nicht. Weil ihr alle trotzdem dasteht und zuhört. Ihr habt unterschiedliche Mei­nungen, verschiedene Erfahrungen und Perspektiven. Niemand hat die Patentlösung gegen Diskriminierung, niemand sagt, dass Feminismus einfach ist. 

Trotzdem seid ihr heute hier – strahlend, kraftvoll, fordernd. Weil Komplexität nicht heisst, dass man sich vor Diskussionen drücken kann. Weil Diskriminierung nicht bei einem Gesetzestext aufhört. Und weil es verdammt schön ist zu sehen, wie viele unglaubliche Frauen* es gibt, die ihren Weg gehen – für sich und für die, die nach ihnen kommen werden. 

Weiterlesen: Die Frauen*streikgruppe der Uni Luzern im Gespräch

Zeen is a next generation WordPress theme. It’s powerful, beautifully designed and comes with everything you need to engage your visitors and increase conversions.