Ladies and Gentlemen, fellow Millennials: In dieser Kolumne wird sich Luna Libido künftig mit den Herausforderungen auseinandersetzen, mit welchen wir uns heute rumschlagen – es geht dabei vor allem um Probleme und Fragen, die sich uns in der Reise durch den Datingdschungel dieser Generation eröffnen. Heute im Angebot: wir sind verwirrt – und machen darum komisches Zeug.
Luna Libido
«Was mache ich eigentlich hier?», frage ich mich zum x-ten Mal innerhalb mehrerer Wochen, während ich, Kinn in die Hand gestützt, auf der Dachterrasse meiner Luzerner Lieblingsbar sitze und versuche, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich eigentlich lieber gar nicht hier wäre. Ich seufze in mich hinein. Mein Gegenüber heisst Simon. Auf Tinder wahnsinnig athletisch, gross und blondlockig, hier bei mir am Tisch zwar immer noch gross und blond, aber wohl doch nicht der Zehnkämpfer mit den Oberarmen, wegen welchen ich mich überhaupt zu diesem Date überwunden hatte. Und Locken hat er irgendwie auch keine. Und so hübsch ist er irgendwie auch nicht. Wir sitzen schon eine Stunde hier und plaudern, aber das Gespräch verliert langsam seine Würze. Während er mir erklärt, dass er Leute, die nichts davon verstehen, wie man «Sport richtig macht», nicht ernst nehmen könne, huscht mein Blick immer wieder unweigerlich auf seinen unsauber rasierten Schnauz. Oder, nein, sorry, «Moustache», wie er als Hipster sagen würde. Er fährt dann fort, wie er auch Sportstudenten blöd findet. Denn: Sport? Da hat man ja keine Zukunftsperspektive. Und Geschichte? Was will man damit? Etwa Lehrer werden? Ich nippe an meinem Weissweinglas, zucke mit den Schultern und bringe ein teilnahmsloses «Ist doch schön, wenn sie’s gern machen» hervor. Ich lehne mich zurück und lasse den Blick über die Dächer Luzerns schweifen. Hinter der Musegg geht die Sonne gerade unter. Er sucht sichtlich nervös und sichtlich erfolglos nach einem neuen Gesprächsthema. Ich geniesse die Stille. Als ich mich ihm wieder zuwende, hat auch er sich zurückgelehnt, breitbeinig. Und mustert mich ausgiebig. Die Hände locker auf der Tischplatte, schenkt er mir seinen unheimlichsten Mi-casa-su-casa?-Blick – und dreht damit den Spiess um, denn jetzt bin ich diejenige, die nervös nach einem Gesprächsthema sucht. Und da sitze ich nun, blicke in sein kantiges, mit Moustache (warum nur!) verziertes Gesicht, in seine eindringlich hellblauen Augen. Fehlt nur noch, dass er sich auf die Unterlippe beisst. Bevor er «Komm, lass uns verschwinden» flüstert und nach meiner Hand greifen kann, zerschlage ich den einseitigen Vibe: «Das wird heute imfall nichts.»
Auf diese Riesenenttäuschung muss er erstmal schlucken. Und mir dann eine geschlagene Viertelstunde Argumente auftischen, warum er trotzdem mit mir nach Hause kommen sollte. Mein persönlicher Favorit:
«Es muss ja nicht immer etwas passieren! Wir können ja auch einfach nebeneinander liegen.»
Oder der:
«Würdest du denn auch Nein sagen, wenn du bereits jetzt wüsstest, dass dies die Nacht deines Lebens wird?»
Aus Intuition bleibe ich bei meinem Nein, gebe mich entnervt und setze ihn in seinen Zug zurück nach Zürich. Zwei Tage später habe ich nach einer kurzen Stalkcherche (Stalken + Recherche) rausgefunden, dass ich gecatfished* worden bin. Lasst das mal sacken! Da hat dieser Simon (falls das wirklich sein Name war) Bilder vom Insta eines französischen Spitzensportlers geklaut (@mayer.deca, für die, die’s wunder nimmt) und in sein Tinder gepackt – und als wäre das nicht genug, besass er dann nicht nur die Dreistigkeit, persönlich zu erscheinen, sondern mich auch noch wiederholt zu drängen, ich solle doch bitte mit ihm schlafen.
Männerpausen laden zum Sinnieren ein
Nach meinem Catfishdate habe ich eine Männerpause eingelegt – eine Auszeit, die ich im vergangenen halben Jahr mehrmals benötigt habe, um über unsere Generation, über Liebe, Beziehungen und Tinderdates nachzudenken. Dann kommt mir öfter der Gedanke, dass wir hinsichtlich dieser Dinge nicht dieselbe Sprache zu sprechen scheinen. Und falls doch, dass wir diese Sprache selber nicht verstehen. Was wollen wir denn? Wen wollen wir? Und wie? Und sobald das geklärt ist: Verpassen wir denn auch nichts? Und haben wir überhaupt Zeit? Und sind wir denn wirklich bereit?
«Leute, was machen wir hier eigentlich?»
Meine Hypothese: Wir sind in einer Welt sozialisiert worden, in der die (monogame, heterosexuelle) Ehe als Norm und als erstrebenswert angesehen wird. Nun, da wir ins «ehefähige» Alter kommen, revolutionieren Onlineplattformen das Dating Game und vergrössern den Pool an potenziellen Partner*innen – an potenziellen Abenteuern – ungemein. Sie vergrössern damit auch die Angst, etwas zu verpassen und damit die Zweifel, ob da draussen nicht doch noch jemand Passenderes rumläuft. Die Idee, the one and only zu finden, fühlt sich für uns richtig an – ist ein Bedürfnis. Dieses One-and-only-Ehe-Ding stammt aber aus der Zeit unserer Grosseltern. Und bereits die Scheidungsrate der Generation unserer Eltern weist doch darauf hin, dass es eigentlich gar nicht so gut funktioniert. Wir verfolgen eine alte Ideologie, die sich durch die heutigen Umstände nur erschwert erfüllen lässt. Dass sich die realen Lebensgegebenheiten zusehends von der Normvorstellung lösen, ist der Grund dafür, dass wir nicht wissen, was oder wen wir wollen und was wir hier eigentlich machen. Darum legen wir Fakeprofile an, hoffnungsvoll, dass wir dadurch zum Schuss kommen. Und darum können wir es nach jeder Datingpause doch nicht lassen, wieder ein bisschen zu swipen.
Schreibt mir!
Was haltet ihr davon? Habt ihr grad die Augen verdreht oder kennt ihr selber ein Beispiel, das meine Hypothese untermauert? Habt ihr eine Erfahrung gemacht, welche ihr Gegengewicht gibt oder brennt euch was anderes auf der Zunge? Diskutiert mit mir via lunalibido@lumosmagazin.ch – mit etwas Glück verwende ich eure (anonymisierte) Story als Grundlage für den nächsten Teil dieser Kolumne.
*Anmerkung der Redaktion: Jene, die mit dem Begriff «Catfish» Mühe haben, googeln doch bitte mal «Catfish MTV».