Die Wirtschafts- wissenschaftliche Fakultät und ihr Versäumnis

Die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Luzern steckt noch in den Kinderschuhen. Nach sechs Semestern Wirtschaftswissenschaften in Luzern ist es Zeit, einen kritischen Blick hinter ihr Selbstportrait zu werfen.

Jonathan Biedermann, Philosophy, Politics & Economics (Text)

Jonathan Biedermann ist Gründungs- und Vorstandsmitglied des Vereins «Rethinking Economics Lucerne». Den Verein gibt es seit Januar 2019.

Im Herbst 2019 jährt sich die Gründung der Wirtschaftsfakultät der Universität Luzern zum dritten Mal. Gleichzeitig nehmen die ersten Studentinnen ihre Bachelordiplome entgegen und der neue Masterstudiengang öffnet seine Tore. Folgt man der Beschreibung auf ihrer Website, hat sich die Fakultät in der Schweizer Hochschullandschaft bereits «gut etabliert». Sie zeichne sich unter anderem durch eine «breite und generalistische Ausbildung» aus. Überdies könne sie auf engagierte und hochmotivierte Studierende zählen. Diese würden Eigeninitiative zeigen und «zum Aufbau des Studiums beitragen».

Dieses Engagement kommt unter anderem im studentischen Verein «Rethinking Economics Lucerne» zum Ausdruck. Er setzt sich explizit mit der Gestaltung der wirtschaftswissenschaftlichen Lehre auseinander. Der Fokus liegt dabei auf den in Vorlesungen und Seminaren vermittelten Lehrinhalten. Kritisiert wird, dass sich die noch junge Fakultät in den Kanon der neoklassischen Hegemonie einreiht.

«Heute beschäftigt sich die Neo­klassik mit der Frage, wie knappe Güter effizient zugeteilt werden.»

Zwar wird von der Fakultät online be­hauptet, dass die Ausbildung im Bachelor an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät in Luzern «breit und generalistisch» sei; dem Verein «Rethinking Economics Lucerne» scheint die theoretische Grundlage jedoch einschlägig und verkürzt. Der Gründungsdekan Christoph Schaltegger beteuert in einem Werbevideo der Fakultät das Verständnis der Ökonomie als Sozialwissenschaft. Im selben Zug bekräftigt er die neoklassische Vormachtstellung mit der Aussage, dass sich die Ökonomie grundsätzlich mit der Frage der Ressourcenknappheit auseinandersetze. Gerade Letzteres sei sinnbildlich für die gegenwärtige Lehre in den Wirtschaftswissenschaften, nicht nur an der Universität Luzern, sondern in der ganzen Schweiz, ja, gar international. Laut dem studentischen Verein werden damit weitere Aspekte der Ökonomie systematisch vernachlässigt.

Die Informations-Website exploring-­economics.org verweist diesbezüglich explizit auf «Unsicherheit», «Macht» und «Veränderung», die neben «Knappheit» zentrale Komponenten des ökonomischen Gegenstandsbereiches darstellen. Die neo­klassische Lehre schafft es laut exploring-­economics.org längst nicht, alle diese Facetten der Ökonomie zu integrieren – was keineswegs auf einen Mangel per se hinweist: Schliesslich geniesst sie als ökonomische Denkschule an sich schon die notwendige Daseinsberechtigung in der Lehre. Bedenklich in diesem Zusammenhang ist lediglich, dass sie dabei gegenüber anderen Denkschulen klaren Vorrang geniesst.

Zur Bestätigung dieses Sachverhalts dienen Daten, welche im Rahmen der «Panorama-Studie» des Vereins «Rethinking Economics Schweiz» erhoben wurden. Diese ermittelte für diverse Schweizer Universitäten die Verteilung von Lehrinhalten im Wirtschaftswissenschaftlichen Studium allgemein und in der Volkswirtschaftslehre speziell. Dazu wurden die jeweiligen Curricula durchforscht und die Inhalte der Veranstaltungen klassifiziert. Die Resultate erschienen im Sommer 2019. Sie geben ein ernüchterndes Bild ab: Während neoklassische Inhalte mit 82 Prozent dominieren, bilden Inhalte in Verhaltens-, Evolutions- und Institutionalistischer Ökonomie mit insgesamt 18 Prozent deren einzige Alternative – gerade diejenigen Schulen, die der Neoklassik durch überl­appende Methoden und Axiome am nächsten stehen.

Was versäumt wird

Inhalte aus Denkschulen, die den oben genannten gegenüberstehen, bilden hin­gegen keine substanziellen Bausteine im wirtschaftswissenschaftlichen Curriculum: Mathematische Konzepte werden nicht durch österreichische Perspektiven relativiert. Alternativen zur Austeritätspolitik werden nicht anhand von Post-Keynesianischen Strömungen expliziert und bestehende Machtverhältnisse im Arbeitsmarkt nicht durch die Stimme der feministischen Ökonomie verdeutlicht. Auch sozialwissenschaftliche Analysen aus der marxistischen und post-marxistischen Ökonomie werden nicht aufgegriffen. Den Studierenden fehlen damit wesentliche Perspektiven, die für eine breite und generalistische Bildung relevant sind.

«Die systematische Überschätzung der regulierenden Wirkung von Marktmechanismen kam 2008 infolge des Häusermarktdebakels zum Vorschein.»


Anerkennt man die Wirtschaftswissenschaft als Disziplin, die sich als Sozialwissenschaft mit gesellschaftlichen Vorgängen und sozialen Phänomenen auseinandersetzt, hat das weitreichende Konsequenzen. Oben genannte Versäumnisse führen zu blinden Flecken – mit verheerenden Folgen: So mündete die systematische Überschätzung der regulierenden Wirkung von Marktmechanismen 2007 in einem Häusermarktdebakel. Dieses wiederum trug wesentlich zur darauffolgenden Wirtschaftskrise bei.

Was gefordert wird

Es drängt sich eine Erweiterung der Perspektive der heutigen wirtschaftswissenschaftlichen Lehre auf. Daher plädiert der Verein «Rethinking Economics Lucerne» für die Erweiterung des Curriculums der Wirtschaftsfakultät in Luzern: Nicht nur soll die Ökonomie mittels eigener Ideengeschichte Selbstreflexion üben, auch sei den Studierenden eine theoretische Vielfalt mit auf den Weg zu geben. Zudem sei die Integration anderer Sozialwissenschaften, sowie interdisziplinärer Lehrinhalte notwendig.

Dabei gehe es nicht lediglich um die Möglich­keit, dass Studierende der Wirtschaftswissenschaften entsprechende Fächer besuchen können. Mit den bestehenden freien Studienleistungen haben sie im Bachelor bereits 15 Credits, welche sie in Veranstaltungen anderer Fakultäten sammeln dürfen. Vielmehr seien entsprechende Veranstaltungen als notwendiger Teil eines Bachelor of Arts in der Wirtschaftswissenschaften anzuerkennen. Damit verbunden ist deren Aufnahme in das Curriculum als Pflichtveranstaltungen. Erst damit kann die ökonomische Lehre als vollständig und ihre sozialwissenschaftliche Einbettung als gelungen gelten, so der Verein.

Die Universität Luzern könnte sich durch diese «unique selling proposition» auch vom Kanon der anderen Schweizer Universitäten abheben.

Was getan wird

Ein erster Schritt in diese Richtung ist die Veranstaltung von Andrea Franc, Professorin an der Universität Basel, in «History of Economic Thought». Die fakultative Vorlesung zur ökonomischen Ideengeschichte wurde von Dekan Christoph Schaltegger fürs Frühjahrssemester 2020 angesetzt. Die weiterhin bestehenden Lücken im Curriculum werden seitens Studierenden mit einem Lektürekreis und einer Veranstaltungsreihe im November gefüllt.

Allerdings besteht ein Appell an die uni­versitäre Leitung: Die Eigeninitiative der Studierenden verlangt nach konstruktiver Resonanz, anerkennt die Fakultät doch – wie eingangs erwähnt – den Beitrag von Studierenden zum Aufbau des Studiums. Fasst die Fakultät den Vorsatz, ihre Lehre theoretisch und methodologisch vielfältiger zu gestalten, würde sie nicht nur dem Selbstportrait ihrer Ausbildung als «breit und generalistisch» gerecht. Die somit breit aufgestellte Universität Luzern könnte sich durch diese «unique selling proposition» auch vom Scheuklappenblick anderer Schweizer Universitäten abheben. Für eine noch junge Fakultät mit fortwährendem Gestaltungsraum täten sich so interessante Wege auf.

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